Wuppertaler Doktorspiele
Wuppertaler Meinung und Dialog
Von Lothar Leuschen
Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann bild‘ ich einen Arbeitskreis. Die Weisheit ist so alt wie ärgerlich. Sie ist ein Synonym dafür, daß es länger dauert, daß eine Entscheidung nicht getroffen wird, zumindest so lange nicht, bis der Arbeitskreis ein Ergebnis erzielt hat. In Wuppertals Rathaus ist das eine viel beobachtete Übung, die beinahe ebenso oft ergebnislos endete. In solchen Situationen zündet der Stadtrat dann die nächste Stufe der Bürokratierakete und beauftragt die Verwaltung damit, einen Gutachter zu beauftragen. Der wird in der Regel vorher darüber informiert, welches Ergebnis denn genehm wäre. Und so geschieht es dann - freilich gegen das übliche Honorar und nicht mit der Garantie, daß das ganze Spiel nach dem Gutachten nur mit dem nächsten Arbeitskreis von vorn beginnt. Es ist deshalb wenig überraschend, daß CDU und SPD im Stadtrat der offenkundigen Misere im städtischen Ausländeramt mit einem Gutachten begegnen wollen. Das macht es allerdings nicht weniger ärgerlich. Denn gerade dieses Amt ist in den vergangenen Monaten mehrfach auf Links gedreht worden. Das Ergebnis war allerdings immer wieder dasselbe. Zu viel Arbeit für zu wenige Leute. Wenn jeder Sachbearbeiter rechnerisch 950 Fälle bearbeiten muß, dann braucht es keinen Taschenrechner, um festzustellen, daß Wartezeiten entstehen. Im Haus der Integration sind sie schon aus diesen mathematischen Gründen extrem lang. Das ist einigen Politikern der Fraktionen von SPD und CDU bisher vielleicht nicht so sehr aufgefallen, weil dort Leute in der Schlange stehen, die weder CDU noch SPD wählen können. Sie sind nämlich Nicht-EU-Ausländer. Einige wollten ja vielleicht gern Deutsche und damit Wähler werden, anderen reichte es, wenn wenigstens ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängert werden würde. Beide eint, daß sie keinen Termin bekommen. Mangels Kapazität.
Dabei ist die fehlende Personalstärke sicher nur das eine Problem. Das andere lauert in Berlin und nennt sich Ausländergesetz, kommt bestimmt aber auch unter vielen anderen Namen auf die Schreibtische im Haus der Integration an der Bundesallee. Mit anderen Worten: Auch die Ausländerbehörde verwaltet sich zu Tode, das hat sie mit der Baubehörde, mit den Sozialämtern und eigentlich allen Bereichen des öffentlichen Dienstes gemein. Statt nun also für viel Geld das x-te Gutachten in Auftrag zu geben, könnten die Fraktionsspitzen von CDU und SPD besser 1. Klasse nach Berlin fliegen und sich um Gespräche mit den Herren Merz, Dobrindt sowie Klingbeil bemühen. Es ist doch Irrsinn, daß die Bearbeitung einer einzelnen Akte annähernd sieben Stunden dauert, weil der Paragraphendschungel nicht mehr zu durchdringen ist. Das führt dann eben dazu, daß jeden Morgen in den Schlangen vor dem Haus der Integration auch Menschen stehen, die seit Jahren hier leben, hier arbeiten, hier Steuern bezahlen, aber keine gültige Aufenthaltserlaubnis haben, weil die alte abgelaufen ist und die neue nicht hat beantragt werden können. Das ist nicht nur unfreundlich, sondern in hohem Maße schlecht für Wirtschaft und Unternehmen. Denn Leute, die Arbeiten wollen und können, werden immer gebraucht. Auch in ökonomisch schlechteren Zeiten. Und egal, woher sie kommen.
Es ist also nicht zielführend, weiter an den Symptomen herumzudoktern, die das Rathaus zum großen Teil selbst mitverursacht hat. „Mehr Wuppertal wagen“ klang gut und sympathisch, als diese Stadt mehr Flüchtlinge aufgenommen hat, als sie mußte. Leider aber hat sie versäumt, für „mehr Wuppertal wagen“ vorher auch die Verwaltungsstrukturen zu schaffen. Das Ergebnis steht jeden Morgen vor dem Haus der Integration und sitzt an Schreibtischen, über deren (digitale) Aktenberge niemand mehr schauen kann. Das alles zu erkennen, braucht es keinen Gutachter, sondern bessere Gesetze und weniger Bürokratie.
Der Kommentar erschien am 14. Juni in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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