Sein oder Spielen
Dominik Graf über sein Leben als Regisseur und Schauspieler
Nahezu autobiographisch äußert sich der seit Jahrzehnten erfolgreiche Film-und Fernsehregisseur über „Beruf und Leben, Spielen und Wirklichkeit, über dem Kuddelmuddel seines Lebens“ und hofft mit seinem Buch vielleicht zur Erziehung der Herzen im Umgang mit und zwischen Schauspielern und Schauspielerinnen beitragen zu können. Dabei werden auch einzelne Texte, die schon in anderem Zusammenhang publiziert wurden, eingeflochten.
Was passiert den im Film überhaupt? Werden im Film Geschichten erzählt? Und wenn ja welche? Geht es um die Darstellung des Librettos, der Handlung oder der Charaktere? Was macht einen Film interessant? Welche Rolle spielt die Kinematographie? Was lernt man auf der Schauspielschule? Dort können junge Schauspieler auch ihre Ausstrahlung und Authentizität verlieren. Übertriebene Mimik führt selten zu Erfolg. Kann man Anmut und Grazie für die Schauspielerei lernen? Was passiert, wenn ein darstellerischer Ausdruck bewußt geübt wird? Überlegungen dazu hat schon Heinrich von Kleist in seinem „Marionettentheater angestellt. Aber welche Bedeutung hat Schauspielkunst in der Pornographie? Was bedeutet „Trash-Acting“? Darüber gibt es ein eigenes Kapitel.
Darf ein Schauspieler überhaupt spielen oder muß er im Wesentlichen sich authentisch selbst darstellen? Was passiert bei der Darstellung von Liebe und Sex, wenn die Schauspielerin vertraglich geregelt hat, welche ihrer Körperteile im Film gezeigt werden dürfen. Der Titel des Buches nimmt diese Frage vorweg. Götz George ist ein Beispiel für authentische Selbstdarstellung, bei der das Drehbuch eher eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. „Das Beste kommt von der Straße“ und Professionalität ist ein ganz großer Irrweg“ schreibt Graf. Der Schauspieler amalgamiert mit seiner Rolle, und zwar am besten intuitiv. Dieser Spiel- und Inszenierungsstil geht zurück auf den Moskauer Regisseur Konstantin Stanislawski am Ende des 19. Jahrhunderts. Klassisch pathetische Textaufsager sind im Film nicht gefragt. Worte und Sätze bleiben im Film oft an der Oberfläche im Vergleich zu Miene und Gesichtsausdruck, die tief in Tiefen weisen können. Merkwürdig, was man über Privatdetektive liest. Claus Theo Gärtner (Josef Matula) sei (weltweit?) der letzte gewesen. Was ist aber mit dem Buchhändler Leonard Lansink (Georg Wilsberg), der immer noch seinen Fällen nachgeht, als Typ ohne Revolver im Film Verbrecher stellt und dem Sender Einschaltquoten liefert.
Wer liest ein solches Buch? Filmenthusiasten lesen es wohl mit Gewinn, vor allem wenn sie all die Filme, Schauspielerinnen und Schauspieler und vor Augen haben und sich in der Filmgeschichte der letzten Jahrzehnte auskennen. Alle die im Filmgeschäft arbeiten oder dort eine Karriere planen, werden aus der Lektüre Gewinn ziehen. Überaus kenntnisreich und differenziert bietet der Autor ungeheuer viel Material über die Szene, zitiert und erzählt ungebremst. Da fällt es stellenweise nicht leicht, den Überblick zu wahren. Zahllosen Mono- und Dialogen vieler, vieler Filme wird man lesend schwer folgen können.
Bei der Lektüre wird deutlich, wie sehr sich der Film vom Theater unterscheidet. Während Schauspielerinnen und Schauspieler der städtischen Bühnen, auch die Theatermacher in Utzbach, über zwei Stunden ihr Publikum fesseln müssen, wird im Film eine schwierige Szene so oft gedreht, bis sie gefällt und es ist erstaunlich, wie trotz Klebens und Schneidens bzw. heute trotz technisch-digitaler Bearbeitung der Film Brüche nicht erkennen läßt. Natürlich wird die Frage nach der Ökonomie beim Dreh und die Abhängigkeit bzw. die Einflußnahme von Produzenten und Fernsehmanagern diskutiert. Wieweit bestimmt das liebe Geld die Kunst, die Freiheit der Akteure? Geld regiert auch die Welt des Films und man liest erstaunt, wie viele Schauspielerinnen und Schauspieler der zahllosen Fernsehserien und Filme vom städtischen Theater hergekommen sind - oder auch manchmal noch wechseln zwischen Filmstudio und Schauspielhaus. Anscheinend sind die Verträge beim Film und Fernsehen einfach lukrativer als die meist zeitlich befristeten Engagements bei den Theatern von Utzbach.
Daß sich Theater und Film gegenseitig befruchten betrifft nicht nur das Personal, sondern auch die Produktionen. Romane werden und wurden schon immer verfilmt, werden aber erst seit kürzerem immer öfter auch dramatisiert auf die Bühne der Theater gebracht. Notwendigerweise nimmt die Seele des Romans, die aus dem Text erblüht, dabei oft ab. Denn für die Bühne wird ja nicht nur dramatisiert, sondern vor allem auch der Text gekürzt.
In dem unterhaltsamen Buch plaudert der vielfach als Regisseur ausgezeichnete Autor aus dem Nähkästchen und liefert interessante Einblicke in und Aspekte auf die deutsche wie internationale Filmszene und auf seine eigneten Erfahrungen Zahlreiche Fotos in grobkörniger Auflösung lockern den Text auf.
Dominik Graf – „Sein oder Spielen“
Über Filmschauspielerei
© 2025 Verlag C.H. Beck oHG, 391 Seiten gebundenes Buch mit Schutzumschlag, zahlreiche s/w Bilder – ISBN
28,-€
Weitere Informationen: https://www.chbeck.de/
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