Reformbedarf

Streit um Wahl einer Verfassungsrichterin

von Lothar Leuschen​

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Reformbedarf
 
Streit um Wahl einer Verfassungsrichterin
 
Von Lothar Leuschen
 
Am Freitag entscheidet sich wieder einmal das Schicksal der noch relativ neuen Bundesregierung. So zumindest hätte es gern die Opposition, angeführt von AfD und Linken. Und auch innerhalb der Koalition von CDU, CSU sowie SPD versucht der eine oder die andere Abgeordnete, ihr Mütchen zu kühlen. Das ist mittlerweile Standard vor allem in der Bundespolitik, seit politische Rechts- und Linksextremisten die bürgerliche Mitte immens unter Druck setzen. Dabei spricht jetzt schon alles dafür, daß die Regierung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auch den heutigen Freitag überstehen wird. Denn es geht bei der Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf im Kern lediglich um interpretatorische Nuancen. Die können am Bundesverfassungsgericht naturgemäß auch große Auswirkungen haben. Aber Brosius-Gersdorf soll nicht das Gericht übernehmen, sondern nur eine von 16 Richterinnen und Richtern werden.
 
Dennoch ist es geboten, sich mit den Menschen zu befassen, die in Deutschland im Sinne des Grundgesetzes Recht sprechen. Und da die Kandidatin der SPD in der Vergangenheit mit manchen juristischen Einschätzungen von sich reden gemacht hat, wird ihre Wahl nun zum Politikum. Bei näherer Betrachtung der Aussagen von Brosius-Gersdorf wird allerdings schnell deutlich, daß sie im politischen und im juristischen Spektrum in Deutschland vertretbar sind. Das bedeutet nicht, daß jeder sie teilen muß. Aber Rechtsprechung ist Interpretation von Gesetzen. Deswegen ist es tolerabel, wie Brosius-Gersdorf muslimischen Rechtsreferendarinnen das Tragen eines Kopftuches zu erlauben oder juristisch zu hinterfragen, ab wann ungeborenes Leben besonders zu schützen ist. Mit ihrer Wahl ändert sich die Rechtsprechung schließlich nicht unbedingt. Auch sie hat nur eine von 16 Stimmen im Gericht. In diesem Fall eine, die der SPD näher ist. Was wiederum wie auch beim Unions-Kandidaten Spinner die Frage aufwirft, warum eigentlich Verfassungsrichter auf Parteitickets in ihr politisch neutrales Amt fahren. Womöglich besteht hier Reformbedarf.
 
 
Der Kommentar erschien am 11. Juli in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.