Der alte Mann und sein Hund (42)

von Erwin Grosche

Foto © Jerzy Gorecky
Der alte Mann und sein Hund 42
 
Der alte Mann ging mit seinem Hund spazieren. Er fühlte sich matt und hoffte, daß es an den letzten Tagen des Sommers läge und nicht an seinem schwindenden Lebensmut. An diesen schwülen Tagen fiel ihm das Luftholen schwer, und die Hitze hing über einem wie ein betrunkener Engel. Er hatte mal gehört, daß es in Bad Driburg keine Schwüle geben würde, weil der Ort inmitten von Wäldern lag. Die Driburger kennen keine Atemnot, aber leiden unter dichtem aufsteigendem Nebel. Wenn die Feuchtigkeit schwer aus den Wäldern trat, verschwand der Ort und dunkle Gedanken quälten seine Bewohner. „Je weniger man von Bad Driburg sieht, um so liebenswerter ist der Ort“, sagte sein Freund Lothar, der in Driburg gewohnt hatte und nur ungern an diese Zeit erinnert werden wollte. „Bei dem Nebel war man froh, wenn man sich morgens im Spiegel sah“, sagte er. Das sollte ein Witz sein, aber der alte Mann war sich nicht sicher ob das ein Witz war, weil Lothar in seiner Driburger Zeit oft einen vernachlässigten Eindruck machte und sich oft benahm als wäre er unsichtbar. „Wenn man mehr Zeit hätte, könnte man aus Driburg einen richtig schönen Ort machen“, sagte Lothar oft. Der alte Mann schüttelte den Kopf. Er wußte, wie der Nebel den Menschen zusetzen konnte. Man bewegte sich vorsichtig und hatte Angst vor den anderen. Kein Wunder, daß Driburg die Glasstadt genannt wurde und dort ein Glasmuseum zum Verweilen einlud. Der alte Mann erinnerte sich an die „Elefanten-wir-dürfen-hier-nicht rein-Schilder“ die vor den Glasläden von Ritzenhoff und Breker aufgestellt worden waren. Auch Friedrich Hölderlin schrieb seine zerbrechlichen Verse in Erinnerung an die Zeit, die er in Driburg erlebt hatte. Der alte Mann wartete auf seinen Hund, der wieder irgendwo hinter den Hecken des kleinen Parks verschwunden war. Er sah Lothar, der vor dem kleinen Café Heinrichs saß und beim Verfassen einer Email war. „Wie wird denn nochmal Przemyśl geschrieben?“, fragte er. Der alte Mann dachte nach und schüttelte den Kopf. Lothar seufzte. „Ich wollte mich mit einer Frau am Przemyśl-Weg verabreden.“, sagte er. „Es wäre wichtig Przemyśl richtig zu schreiben, weil sie aus Polen kommt.“ Der alte Mann sah seinen Hund kommen und zückte die Leine. „Ich würde mich mit ihr am Rathausplatz treffen“, sagte der alte Mann schließlich. „Den Rathausplatz kennt jeder und die Liebe findet sich überall, wenn man nach ihr sucht.“ Lothar nickte. „Auf einer Silvesterparty in Bad Driburg lernten sich Claus von Amsberg und Kronprinzessin Beatrix aus den Niederlanden kennen, trotz des Nebels.“ Der alte Mann nickte und kraulte den Hals seines Hundes - sein vierbeiniger Freund stammte aus einem Driburger Tierheim.
 

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