Kapitulationskonzept

Wuppertaler Meinung und Dialog

von Lothar Leuschen​

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Wuppertaler Meinung und Dialog
 
Kapitulationskonzept
 
Von Lothar Leuschen
 
Die Situation am Döppersberg wird täglich dramatischer. Die Drogen- und Obdachlosenszene hat das Gebiet erobert, von dem eigentlich eine Art Wiedergeburt der Elberfelder Innenstadt ausgehen sollte, als es vor vier Jahren eröffnet worden ist. Das Gegenteil ist der Fall. Nicht in erster Linie das Baustellenchaos um die Fernwärmeleitung und das im Erdreich schlummernde Denkmal Burg Elberfeld geben Poststraße und Alter Freiheit den Rest. Es ist die Gesellschaftspolitik von Rat und Stadtverwaltung. Es ist die eklatante Fehlentscheidung, ein Suchthilfecafé an einem neuralgischen Punkt zu installieren – ohne in Wirklichkeit Suchthilfe zu leisten. Die Reaktionen auf die neuerliche Kritik an diesem Standort, auch an dieser Stelle der Westdeutschen Zeitung, sprechen Bände. Wie leider so oft in Wuppertal wird dem Anspruch auf Besserung und Veränderung lapidar mit der Aussage begegnet, da könne man nichts machen. Das sei in anderen Städten doch genauso. Doch erstens wohnen fast 360 000 Menschen in Wuppertal und nicht anderswo, und zweitens haben all diese Menschen dasselbe Recht auf eine funktionierende, sichere Innenstadt mit möglichst hoher Aufnahmequalität. Von den Befürwortern des Café Cosa wird dieses Recht allerdings nur den Süchtigen und ihren Drogenhändlern eingeräumt, die Mehrheit der ganz normalen Wuppertalern gehört nicht zu ihrem Klientel. Und überhaupt: Da kann man ja nichts machen.
 
Wenn das so ist, wenn allen wirklich die Hände gebunden sind, wenn sich doch ohnehin nichts ändert, drängt sich wie in anderen politischen Handlungsfragen die Frage auf, warum es dann gemacht wird. Warum werden Leute eingestellt und bezahlt, warum werden Gebäude errichtet, warum ist Wuppertal die einzige Großstadt, die ihre Gäste auf dem Weg zum Döppersberg, dem wichtigsten Innenstadtprojekt mindestens der vergangenen 50 Jahre, mit dem Anblick zweier aufgeständerter Mobil-Toiletten begrüßt?
 
Warum werden beinahe nur am Rande die drei bis vier Drogentoten allein im vergangenen Monat erwähnt, die Wuppertal auch angesichts einer vollkommen erfolglosen Politik gegen Sucht und Handel zu beklagen hat? Da kann man leider nichts machen? Die Toten sind doch viel mehr als ein Kollateralschaden. Sie können nicht einfach auf der Sollseite des Kapitulationskonzeptes verbucht werden, mit dem Wuppertal seit vielen Jahren der grassierenden Drogensucht begegnet – oder auch nicht.
 
Es stimmt, daß sich diese Szene nicht einfach verdrängen läßt, vor allem dann nicht, wenn Polizei, Ordnungsamt, Politik und Verwaltung nicht zusammenarbeiten. Doch nach all den Jahren kann kein Zweifel mehr bestehen, dass das Café Cosa am Döppersberg Sucht nicht verhindert, sondern – selbstverständlich ungewollt – befördert. Deshalb ist es auch richtig, daß es so nicht weitergehen darf. Wenn der Ort kein anderer sein kann, dann muß die Arbeit an und mit den Suchtkranken sowie gegen den Drogennachschub eine andere werden. Die Hilfe für Drogensüchtige darf sich nicht darin erschöpfen, die Opfer immer neuer, billigerer, gefährlicherer Drogen schlicht ins Elend und in den Tod zu begleiten. Zum Kampf gegen die Sucht gehört der Kampf gegen die Händler des Todes, und vor allem gehört dazu, deren Opfer aktiv Angebote zu machen, der Sucht zu entgehen. Natürlich kostet das Geld. Es kostet Akzeptanz, Toleranz und gemeinsames Handeln. Genau das ist Aufgabe einer Stadtgesellschaft zum Schutz ihrer schwächsten Mitglieder. Das gehört sich in einer Gesellschaft, die sich sozial nennen darf.
 
Was sich nicht gehört ist, allen, die das Gebaren und den Verfall am Döppersberg kritisieren, Menschenverachtung, Herzlosigkeit und Diskriminierung zu unterstellen. Das mag zwar der einfachere Weg sein, die Hände weiter in den Schoß zu legen. Er verbessert aber die Situation für niemanden. Auch nicht für die große Gruppe der Menschen ohne Suchterkrankung, die beim Anblick des teils fürchterlichen Elends an ihre eigenen Kinder denken und beten, daß ihren Töchtern und Söhnen dieses grausame Schicksal erspart bleiben möge.
 
 

Der Kommentar erschien am 30. August in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.