Vertrauen, Sauberkeit, Frische und Pflege
Martin Topel über das seit 100 Jahren
unverwechselbare Design der NIVEA Dose
1911 erfand Dr. Isaac Lifschütz den Emulgator Eucerit. Dadurch konnten Öle und Wasser in eine cremige Substanz gebracht werden. Seitdem gibt es die Marke NIVEA. Was bedeutet der Name?
Martin Topel: Der Name kommt von der superweißen Farbe dieser Creme. Es ist gelungen, sie reinweiß herzustellen. NIVEA leitet sich vom lateinischen Wort „niveus“ bzw. „nivea“ ab, was „schneeweiß“ bedeutet und drückt den Anspruch an das Produkt aus.
Seit 1925 hat die NIVEA Cremedose ihre unverwechselbare blaue Farbe. Warum gerade blau?
Martin Topel: Das ist diese Reinheit, das ist Natur, das ist Klarheit und das ist mit diesem weißen geschwungenen Schriftzug auch ein wunderschönes Zitat eines blauen Sommerhimmels mit weißen Wolken. Das Konzept dieser Kampagne geht auf Juan Gregorio
NIVEA Creme ist die älteste und erfolgreichste Hautpflegecreme der Welt. Angeregt durch den Erfolg produzierte die Beiersdorf AG schon bald auch Puder, Seife, Haarmilch sowie Pflegeseife für die Rasur. Wie hat man denn damals für das Produkt geworben?
Martin Topel: In den frühen Jahren der NIVEA-Werbung, insbesondere ab den 1920er-Jahren, setzte die Beiersdorf AG auf innovative und bis dahin ungewöhnlich moderne Werbestrategien. Man muß sich vorstellen, in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts ist auch das Bauhaus entstanden, da gab es einen Umbruch, weg vom Jugendstil hin zu dieser Klarheit. Die Kommunikationsstrategie war gut, denn sie hat das Natürliche hervorgehoben. Diese Einfachheit und auch der Duft, der bis heute gleichgeblieben ist, hat eine Frische. Das hat man ganz passend und stimmig im Werbekonzept verarbeitet. Man fing an im Raum Hamburg mit Werbeplakaten zu testen.
Werbetechnisch ist die Beiersdorf AG auch up to date. Mit den „NIVEA-Jungs“, drei Brüdern und den „Reklamemädchen“,
Martin Topel: Ja, das ist diese Jugendlichkeit. Man hat diese phantastische Haut, die Jugendliche haben, noch einmal als Fläche genutzt, um diese Wirkung der Creme zu zeigen und zu versprechen, daß, wenn ich auch älter bin und mich immer mit Nivea eincreme, ich diese Jugendlichkeit behalte. Deshalb pflegen wir ja auch unsere Haut, um sie zu erhalten und zu schützen. Mit den „NIVEA-Jungs“ hatte sich Clausen eine Kampagne überlegt. Diese wurde ab Februar 1924 deutschlandweit geschaltet. Das Neue an der Kampagne war die Leichtigkeit und Freude in der Darstellung der drei jungen Berliner Brüder. Hier wirkte nichts künstlich oder stilistisch überfrachtet. Damit paßte die Werbekampagne zum neuen und frischen Design der Cremedose. Die Marke NIVEA entwickelte durch die einheitliche Sprache von Produkt und Werbung ein frisches Image. Clausen wurde mit diesen wegweisenden Entscheidungen zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Beiersdorf-Geschichte und bewies damit, wie frühe Werbung, die sich gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpaßte, zu phänomenalen Erfolgen führen konnte.
Ende der 20er Jahre produziert Beiersdorf auch Werbefilme fürs Kino und ist auch da am Puls der Zeit mit einem neuen Frauenbild. Wie sah das denn aus?
Martin Topel: Es war die selbstbewußte, freie Frau, die nicht mehr im Schatten ihres Mannes steht, die selbständig handelt, strahlend
In den 50er Jahren nehmen Urlaubsreisen vor allem nach Italien zu und NIVEA engagiert sich auch schon in der Forschung zum Sonnenschutz. Heute arbeiten fast 500 Mitarbeiter im Bereich Forschung und Entwicklung. Als Merchandising-Produkt wurde damals der aufblasbare NIVEA Ball ins Programm aufgenommen. Wieder ein großer Erfolg, oder?
Martin Topel: Richtig, der NIVEA Ball, ich kann mich als Kind erinnern, ich hatte ihn zuerst bei anderen Kindern gesehen und dann selber bekommen. Dieses wahnsinnig glänzende tiefe Blau mit diesem weißen Schriftzug, das hat ja viele Aspekte. Wenn man an ihn denkt, hat man sofort Werbebilder im Kopf, wie er sich gegen den blauen Himmel noch einmal abhebt und fröhlich, gebräunte Menschen in Urlaubsstimmung am Strand - das ist so eine Assoziation. Als Produkt kostete er nahezu nichts, war günstig herzustellen und zu versenden. 1971 hat man mit 50 Tausend Stück gestartet und die waren sofort weg. Dann steigerte man diese Stückzahl 1977 auf eine halbe Million und ab 1999 gab es den Höhepunkt mit 2,2 Millionen Stück als Werbeträger. Seit 2006 werden jährlich rund 1,5 Millionen NIVEA Bälle produziert. Und für mich als Produktdesigner ist vor allem eines spannend: wenn man den Ball anschaut und auf einer Abbildung sieht, stellt er ja im Prinzip wieder dieses Dreidimensionale Objekt der Dose mit dem Schriftzug dar. Es ist ein blauer Kreis mit einem zentriert angebrachten NIVEA-Schriftzug. Das ist kongenial, so als würde man das Produkt zum Spielen herstellen.
In den 60er Jahren folgt die neue NIVA Milk und eine Reihe von Babyprodukten. Bei allem wird aber immer auf die blaue Farbe geachtet. Macher erfolgreicher Produkte sagen: „Einfache, klare Designs können dazu beitragen, die Kunden bei der Stange zu halten.“ Stimmt das?
Martin Topel: Na ja, wenn man hier von den 60er Jahren spricht, ist die Marke ja schon 40 Jahre alt. Eine Kontinuität ist natürlich unfassbar wertvoll für die Wiedererkennung. Seth Godin (amerikanischer Autor und Unternehmer, Anm. d. Red.) hat einmal gesagt: ´Eine Marke ist ein Set aus Erwartungen, Erinnerungen, Geschichten und Beziehungen.` Und das ist es. Wenn ich heute NIVEA Creme rieche, bin ich sofort in meiner Kindheit, wie meine Mutter mich zum ersten Mal damit eingerieben hat, dieses Gefühl von mütterlicher Fürsorge, diese Behaglichkeit und Sicherheit, das sind alles Dinge, die poppen hoch, wenn ich heute als älterer Mensch mit NIVEA konfrontiert werde. Deswegen ist diese Kontinuität in der Darstellung, in der Rezeptur und im Geruch sogar in der Diskursivität so wichtig, damit dieses Vertrauen nicht enttäuscht wird.
Heute ist NIVEA in über 200 Ländern erhältlich. Benutzen Sie die Creme auch als Erwachsener?
Martin Topel: Ja klar, ich verwende auch NIVEA-Rasierschaum und tatsächlich, ohne darüber nachzudenken, unterstelle ich auch diesem anderen Produkt die gleichen Qualitätsaspekte, die ich schon seit meiner Kindheit von der Creme kenne. Ich bin also ein hervorragendes Opfer dieser Marketingstrategie.
Uwe Blass
Professor Martin Topel ist Industrie Designer und lehrt seit 1999 als Professor an der Universität Wuppertal im Studiengang Industrial Design. Sein Lehrstuhl beschäftigt sich mit der Produktentwicklung von Investitionsgütern und Produktsystemen.
Redaktion Musenblätter: Frank Becker
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