Eine Frage der Intelligenz (3)
In den Medien ist «deep learning» berühmt geworden, weil es dem Computer AlphaGo damit gelungen ist, den Weltmeister in Go zu besiegen. Bei diesem chinesischen Brettspiel werden schwarze und weiße Steine so gesetzt, daß die einen die anderen möglichst umzingeln. Die Maschine hat nur eine von fünf Partien verloren, und zwar die, in der der menschliche Gegenspieler, der Südkoreaner Sedol, einen Zug unternahm, den die Programmierer für ihre Maschine nicht einkalkuliert hatten. AlphaGo ist so eingestellt, daß sich die Maschine auf der Basis der ungemein vielen Trainingspartien, die man ihm eingetrichtert hat, bereits nach einem Zug auf die Lage der Steine einstellen, selbst einen Zug unternehmen oder auf die Antwort des Gegenspielers warten kann. Mehr macht und kann der Computer auch mit «deep learning» nicht. «Damit endet seine Kreatívität», wie der junge Mathematiker und Philosoph Stefan Buijsman in seinem Buch Ada und die Algorithmen schreibt, in dem er aus der Welt der KI berichtet. Er fährt dann fort: «So verlockend es auch sein mag, hinter den erstaunlichen Zügen von AlphaGo etwas zu suchen, es gibt dort nichts zu finden», wobei niemand sagen oder wissen kann, ob das so bleibt.
Trotz der oben zitierten Beruhigung fragen sich immer mehr Zeitgenossen, ob Algorithmen zuletzt nicht doch besser als Menschen werden können. Buijsman tröstet seine Leserinnen und Leser mit der Versicherung: «Das glaube ich nicht», und er meint das unter anderem so, daß Algorithmen nicht unbedingt objektiver urteilen als Menschen, konkret zum Beispiel objektiver als Richterinnen und Richter vor Gericht. Zwar zirkuliert in den Medien die Geschichte, daß in den Räumen der Rechtsprechung kurz vor dem Mittagessen strenger geurteilt und bestraft wird als danach, wenn der Hunger gestillt ist. Aber tatsächlich planen Gerichte ihre Verhandlungen so, daß Angeklagte ohne Anwalt kurz vor dem Mittagessen an die Reihe kommen. Es sind die eher chancenlosen Fälle, die an das Ende der Sitzungen gelegt werden, und die dabei gefällten raschen Entscheidungen haben nichts mit dem Magenknurren zu tun. Surrende Algorithmen urteilen nachweislich nicht besser als irrende Menschen, und niemand sollte in naher Zukunft erwarten, daß er menschliche Roboter zum Abendessen einladen muß und dann nicht weiß, was auf dem Speisezettel stehen soll.
Übrigens, als die in den 1950er Jahren eingeführte KI in den 1970er Jahren ihren ersten Hype erlebte, stand noch die Frage im Raum, ob ein Maschinenprogramm eines Tages den Weltmeister im Schach besiegen könnte - was inzwischen bekanntlich gelungen ist. Zwar wurde diese Frage damals locker positiv von den Experten beantwortet, aber sie taten dies, nicht ohne ebenso lässig hinzuzufügen, daß ein Computer, der einen Schachweltmeister besiegt, mehr können werde, als nur die richtigen Züge auf einem Brett auszuführen, um den Gegner matt zu setzen. Solch eine meisterliche Maschine würde Gefühle zeigen, sich über ihren Sieg freuen können und feiern wollen, wie man vor fünfzig Jahren ohne jede Ironie meinte. Wer sich jetzt immer noch fragt, was Menschen und Maschinen unterscheidet, kennt nun die Antwort.
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
© 2023 C.H. Beck
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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