Im Düsseldorfer Schauspielhaus fegt „Der Schneesturm“
gefährlich scharf über die Bühne
Nach der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen hatte das gut dreistündige Stück
nach dem Roman des russischen Autors Vladimir Sorokin im coprodzierenden
Theater der NRW-Landeshauptstadt Premiere.
Wer schon immer mal in einen Schneesturm geraten wollte, der hat nun die Gelegenheit, sich gute drei Stunden lang von windgepeitschten Schneeflocken und eisiger Kälte umwehen zu lassen. Und muß dafür nicht etwa ins Putin'sche Rußland reisen, sondern kann das gefährlich tolle Treiben vom bequemen Sessel des Düsseldorfer Schauspielhauses verfolgen. „Der Schneesturm“ des russischen Gegenwartsautors Vladimir Sorokin schien jetzt bei seiner Premiere in der NRW-Landeshauptstadt schier kein Ende nehmen zu wollen. Auf die gewaltige Bühne gebracht hat das Stück Kirill Serebrennikov, ebenfalls ein Russe, der wie Sorokin im Exil in Berlin lebt und arbeitet.
Ihre Heimat haben beide - ebenso wie viele der Schauspielerinnen und Schauspieler aus Rußland - wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine verlassen. Der Name des Diktators und Kriegstreibers Putin fällt im Verlauf des phantastischen Theaterabends kein einziges Mal. Wohl aber das, wofür er seit nunmehr rund drei Jahren steht. Der grandiose August Diehl in der Rolle des Landarztes Dr. Garin, der auf dem Weg in das Dorf „Langenweiler“ ist, wirft dem im fernen Moskau residierenden Herrscher in einem höllischen Kessel voller siedendem Öl vor, daß er sich mit all seinen Helfershelfern für seine Verbrechen „vor einem internationalen Tribunal zu verantworten“ habe.
Dr. Garin sitzt auf dem pittoresken Schlitten aus Autositzen des Kutschers Perkhusha, der von dem russischen Schauspieler Filipp Avdeev grandios stammelnd in russischer und deutscher Sprache gespielt wird. Einfältig mit einem gewissen Maß an Bauernschläue der Kutscher, aristokratisch gebildet der Arzt, haben die beiden Hauptfiguren nicht zuletzt wegen ihrer unterschiedlichen Herkunft Verständigungsschwierigkeiten. Perkhusha ist Herr über stolze 50 Spielzeugpferde im Miniaturformat, die er vor seinen Schlitten gespannt hat und die schon bald den Weg aus den Augen verlieren.
Eigentlich sollte es nur ein Weg von rund 1,5 Stunden sein, um den Arzt ans Ziel zu seinen auf die Medizin wartenden Patienten zu bringen. Doch im unentwegten Schneesturm, der im beängstigenden Bühnenbild fast undurchdringlich fällt, verlieren die beiden Protagonisten schnell die Orientierung und landen zunächst bei einer korpulenten Müllerin, die beiden neben einer Flasche Wodka und leckerem Essen auch dem Arzt sich noch selbst obendrauf für eine Nacht schenkt. Dann aber geht die Fahrt nach „Langenweiler“ weiter. Einmal kommen sie in der Nähe eines Dorfes auf einem Friedhof an, wo sich der Arzt dazu überreden läßt, eine ungewöhnliche Droge in Gestalt einer kleinen heißen Pyramide zu probieren. Die Drogen-Erfahrung bringt Dr. Garin in den besagten siedend heißen Kessel mit Speiseöl, wo er einen großen Teil seiner Missetaten gesteht und bereut. Die Drogendealer agieren in weißen Ganzkörperanzügen und scheinen über ihr Experiment mit dem Arzt begeistert zu sein. Der weiß angesichts der Nahtod-Erfahrung sein Leben ganz neu schätzen.
Auch jetzt finden Garin und sein Kutscher Perkhusha zwar kurz auf den richtigen Weg, verlieren ihn dann aber eins ums andere Mal wegen des wahnsinnigen Schneesturms aus den Augen. Ein Kufenbruch des Schlittens folgt dem nächsten. Notdürftige Reparaturen bringen schließlich nichts mehr. Eiseskälte, dicker Schnee und der anhaltend beißende Schneesturm lassen das Duo immer wieder stranden. Bei weißgekleideten Tänzerinnen, Musikern, einer wahnsinnigen Hochzeit und drohenden Zombies ruhen die zwei kurze Zeiten aus, ehe der Kutscher im eisigen Schneetreiben den Tod findet und der Arzt von zwei Chinesen aus der Eiseskälte gerettet und für irgendwelche Experimente in die Zukunft mitgenommen wird.
Das Schauspiel hat neben den beiden männlichen Hauptfiguren noch einen dritten Hauptdarsteller: Das ist der Schneesturm, der mal heulend, mal sanft, mal zärtlich und dann wieder zerstörerisch ins Geschehen eingreift. Er ist immerzu präsent. Mal als Styropor-Flockenwirrwarr, mal als dichtes Treiben auf großer Leinwand und schließlich als Video-Schnee-Kulisse, die einen kleinen Puppen-Schlitten mit zwei Männchen - Garin und Perkhusha - darin zeigt, sie sie am Ende an der Figur eines tiefgefrorenen Riesen mit erigiertem Eispenis hängen bleiben. Jetzt ist für die zwei Protagonisten klar, daß sie verloren sind, ihren Auftrag der Rettung der Menschen in „Langenweiler“ nicht erfüllen können. Garin und Perkhusha erkennen, daß sie während ihrer Reise ihr Ziel aus dem Blick verloren haben. Und ausgerechnet sind es zwei Chinesen, die den russischen Landarzt in eine ungewisse Zukunft führen. Das Publikum im voll besetzten Großen Haus in Düsseldorf bejubelt das Stück am vergangenen Wochenende. Minutenlange sthende Ovationen, anhaltender Applaus, Bravo-Rufe und ohrenbetäubendes Jubelpfeifen beenden den Theaterabend in Düsseldorf, der lang und großartig war. Weitere Informationen: www.dhaus.de
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