Reizpunkt Bürgergeld
AfD überholt Union in YouGov-Umfrage
Von Lothar Leuschen
Die AfD hat die Union in einer neuen YouGov-Umfrage überholt. Erstmals wären mehr Bundesbürger bereit, die als in Teilen gesichert rechtsextremistisch eingestufte Partei zu wählen als CDU und CSU. Der Abstand von 27 zu 26 Prozent ist zwar gering, aber das Signal ist gewaltig. Alle Versuche, die Partei als zumindest in Teilen staats- und gesellschaftsfeindlich zu entlarven, verfangen nicht gegen den Reiz, den diese aggressiv nationalistische und ausländerfeindliche Gruppierung ausübt. Und der Kernpunkt der Anziehungskraft ist das Bürgergeld. Das hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov erhoben, aus der die AfD aktuell als stärkste politische Kraft in Deutschland hervorgeht. Das sollte Union und SPD zu denken geben.
Die Erfahrung lehrt, daß gegen die rechtspopulistische Partei auch dann kein Kraut gewachsen ist, wenn Regierungsparteien deren Positionen übernehmen. Im Gegenteil scheint es den Unterstützern egal zu sein, was die Regierung tut, denn die AfD gewinnt immer. Dennoch könnte es in diesem Fall hilfreich sein, sich anzuschauen, wie die Wahlbürger das Bürgergeld bewerten. Bei näherer Betrachtung ergibt sich dabei ein gestörtes Gerechtigkeitsempfinden. Den Befragten geht es mehrheitlich erheblich gegen den Strich, daß sich nicht zu arbeiten in Deutschland in unteren Einkommensregionen besser rentiert, als morgens aufzustehen und einen Acht-Stunden-Tag anzutreten. Und es gibt tatsächlich Konstellationen, in denen genau das der Fall ist. Der „Spiegel“ hat jüngst errechnet, dass ein Paar mit drei Kindern unter 14 Jahren vom Staat inklusive Miete mit monatlich 3350 Euro unterstützt wird. Für diese Summe muß ein Alleinverdiener einer vergleichbaren Familie brutto annähernd 5000 Euro verdienen. Das ist ein überdurchschnittliches Einkommen. Es ohne Arbeit erreichen zu können, ist nicht begründbar und führt in unteren Einkommensregionen logisch zu Neid und berechtigt zum Gefühl, übervorteilt zu werden. Das sind die Gefühle, von denen extremistische Parteien profitieren. Deshalb und nicht etwa, um mit dem marginalen Einsparpotenzial den Haushalt zu sanieren, ist es dringend geboten, das Bürgergeld zu reformieren.
Der Kommentar erschien am 15. September in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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