Einsteins Kühe (1)

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Einsteins Kühe (1)
 
Als Albert Einstein im Jahre 1930 eingeladen war, die Internationale Funkausstellung in Berlin zu eröffnen, begrüßte er zuerst freundlich die «lieben An- und Abwesenden», um ihnen anschließend die Leviten zu lesen. Er meinte nämlich, es sollten sich alle schämen, «die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und geistig nicht mehr davon erfaßt haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frißt».
Damit gibt er die Richtung vor, in der die Fragen zu suchen sind, die sich Menschen im Alltag stellen sollten und deren Antworten ihnen dabei helfen, den Zustand des Rindviechs zu überwinden, der ihnen unübersehbar anhaftet. Welche Wunder der Wissenschaft und Technik sollte man wenigstens ein wenig zu verstehen versuchen? Wer durch eine Innenstadt spaziert oder auf einem Bahnhof auf den Zug wartet, wird nicht übersehen, daß die meisten Mitmenschen mit einem Smartphone beschäftigt sind, bei dessen Funktionieren einem so viele Fragen in den Sinn kommen, daß einem glatt schwindlig werden könnte. Hier sollen wenigstens ein paar von ihnen genannt werden:
Wie kann Telefonieren drahtlos gelingen? Wie wird die Musik in dem Smartphone gespeichert, was ansonsten nur mit einem besonderen Tonträger ~ Schallplatte, Tonband oder CD – geht? Was geschieht, wenn man mit dem Finger auf das Display tippt und wischt? Das Smartphone ist Magie. Es ist ein Wunderding, das Menschen in ihrer Hand halten und nutzen können, um mit seiner Hilfe etwas über Wissenschaft zu lernen.
Wer sich fragt, warum das Analoge bei der Wiedergabe von Musik mehr oder weniger verschwunden ist – auch wenn die alten Vinylscheiben bei Liebhabern zu entsprechenden Preisen wieder in Mode kommen -, während das Digitale triumphiert, bekommt folgende Auskunft. Das Abspielen eines Grammophons begann früher mit dem unangenehmen Kratzen nach dem Aufsetzen der Nadel. Das Vermeiden solcher störenden Geräusche läßt digitale Signale analogen Konkurrenten gegenüber besser klingen. Es geht um das, was im Englischen «noise» heißt und was man mit Lärm, Krach oder Rauschen übersetzen kann. Der Fachmann spricht vom störenden Rauschen, wenn die zu sendenden oder empfangenden Signale beeinträchtigt werden. Am meisten verbreitet ist das Rauschen, das allein deshalb zustande kommt, weil die Welt aus Atomen, Molekülen und ähnlichen Gebilden besteht. Sie sausen permanent durch die Gegend, prallen aufeinander und treffen prasselnd auf die Wände von Gefäßen. Bei diesem stoßenden Herumsausen entsteht unvermeidlich ein thermisches Rauschen. Es nimmt mit steigender Temperatur zu und beweist dem Fachmann nebenbei, daß Materie tatsächlich aus diskreten Einheiten besteht, die umeinandersausen, ohne jemals Ruhe zu finden. Allerdings sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, daß dort winzige Billardkügelchen agieren und ihr Unwesen treiben. Sie müssen auf jeden Fall so etwas wie Masse aufweisen, aber wenn die Physik eines gut verstanden hat, dann den Sachverhalt, daß sich Masse zuletzt als Energie aufspüren läßt. Sie macht das Geschehen möglich, wenn das auch nicht unmittelbar einleuchtet. Aber das ist allgemein das Schicksal wissenschaftlicher Erklärungen.
 

 Teil 2 von 3 folgt am kommenden Sonntag an dieser Stelle.
 

aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
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Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.