Einsteins Kühe (2)
Unabhängig davon sorgt die Existenz von beweglichen Atomen dafür, daß elektrischen Signalen in Empfängern ein Gewusel zugrunde liegt. In den ersten (noch analogen) Fernsehapparaten konnte man das sogar sehen, sobald das Gerät eingeschaltet war, ohne daß eine Sendung lief. Dann erblickte man auf den Bildschirmen nämlich, was treffend als wirbelnder «Schnee» beschrieben wurde, und in diesen wackelnden und kreisenden Mustern zeigte sich das atomare Rauschen, das schlicht und einfach zur Materie gehört.
Wenn jemand im 19. Jahrhundert gesagt hätte, daß die Welt aus Atomen besteht, hätte man von ihm wissen wollen: «Haben Sie schon eins gesehen?» Kann man heute Atome sehen oder sich ein Bild von ihnen machen? Moderne Techniken wie Rasterelektronenmikroskope (REM) mit feinsten Spitzen können unter Ausnutzung raffinierter quantenmechanischer Effekte - gemeint ist der Tunneleffekt - Atommuster zeigen und zum Beispiel aus der Oberfläche von Aluminiumkristallen einzelne Atome entfernen, wodurch ein kleines schwarzes Loch erkennbar Wird. Die besten Mikroskope können einzelne Atome abbilden, wenn sie mit großem Aufwand von Störungen der Umgebung abgeschottet werden. Ein REM «sieht» dabei weniger etwas, wie seine Hersteller und Benutzer versichern, es fühlt mehr die Atome, wie ein Finger, der über eine Oberfläche streicht. Dabei können chemische Reaktionen ausgelöst werden. Auf diese Weise wirkt etwas aus dem Innersten der Welt heraus, und so lernt die schauende Wissenschaft immer mehr von dem geheimnisvollen Treiben in der Tiefe der Dinge kennen, auch wenn diese es einem nicht gerade leicht machen.
Nun endlich zur Musik: Wie jedes akustische Phänomen besteht Musik aus longitudinalen Schallwellen. «Longitudinal» heißt, daß die jeweilige Kontraktion und Ausdehnung der Luft sich in dieselbe Richtung ereignet, in der sich die ganze Welle ausbreitet. Die entstehenden Druckschwankungen werden von einem Mikrofon in elektrische Signale umgewandelt. Diese müssen in regelmäßigen Zeitintervallen abgetastet werden, wie man sagt, wenn man die damit verbundene Musik aufnehmen will. Beim «Abtasten» werden Messwerte zu einzelnen Zeitpunkten erfaßt, mit deren Hilfe aus dem kontinuierlichen Signal der Außenwelt die diskrete (digitale) Information im Apparat gewonnen wird. Seit sich Menschen bemühen, Schallwellen - Musik oder Stimmen - aufzuzeichnen, stehen sie vor Fragen der Art: «Wie groß muß die Abtastrate sein?» oder «Wie viele Spannungsimpulse aus einem Mikrofon muß man registrieren, um den empfangenen Ton oder Klang möglichst getreu erst erfassen und dann wiedergeben zu können?»
Zum Glück lassen sich die physikalischen und nachrichtentechnischen Bemühungen zu diesem Thema in einer zentralen Einsicht zusammenfassen. Sie ist mit zwei Namen verbunden: Claude Shannon und Harry Nyquist. Der aus Schweden stammende Nyquist konnte zeigen, daß sich die Frequenzen etwa eines musikalischen Signals fast originalgetreu einfangen lassen, wenn die Abtastrate wenigstens doppelt so groß ist wie die höchste Frequenz, die im Signal auftaucht. Mit anderen Worten: Werden akustische Signale schnell genug abgetastet, können sie digital perfekt gespeichert und wiedergegeben werden wobei hier angemerkt sei, daß mit dieser Erklärung erst das eigentliche Fragen für alle diejenigen beginnt, die das technisch nutzbare Ergebnis verstehen wollen.
Shannon hat die schwedischen Überlegungen weitergeführt und den Begriff der Bandbreite benutzt. Diese legt fest, zwischen welchen Frequenzen die dominierenden Anteile des empfangenen Signals liegen dürfen. Den Amerikaner interessierten rauscharme Wege der Kommunikation, und er konnte zeigen, daß man eine nahezu ungestörte Übertragung von digitalen Signalen erreichen kann, wenn man sich auf Einschränkungen bei der Bandbreite einläßt. Das akzeptieren heute Milliarden von PCs, die über das Internet miteinander verbunden sind. Die Beiträge der beiden Herren werden in der modernen Literatur als Nyquist-Shannon-Abtasttheorem zusammengefaßt. Es besagt, daß ein in seiner Bandbreite begrenztes Signal aus diskreten Abtastwerten exakt rekonstruiert werden kann. Mit anderen Worten, die Verarbeitung analoger und digitaler Signale erweist sich als weitgehend äquivalent, und genau darin findet sich der Grund, warum die Menschen in den digitalen Wunderkästchen, die sie in Händen halten, auch die Musik finden, auf die ihre Ohren warten. Die Tatsache, daß die Nachrichtentechniker, Mathematiker und Computerexperten für die transversalen Wellen des Lichts dieselben Ergebnisse hinbekommen haben wie für die longitudinalen Wellen der Töne, wird da kaum noch jemanden überraschen. Wie die Musik sind auch die Bilder in den digitalen Geräten angekommen.
Das Smartphone sollte die Neuerfindung des Telefons, des Fernsprechers sein. Anfang der 1960er Jahre begannen die Telefone mobil zu werden, als die Bell Laboratories in New York Autotelefone anboten. Die ersten Exemplare wogen 15 Kilogramm und waren ziemlich klotzig, aber sie waren besser als ihre Vorläufer. Bereits 1935 hatte man versucht, Telefone in Kofferräumen unterzubringen, weil die Hersteller zutreffend davon ausgingen, so etwas gehöre zur mobilen Natur des Menschen einfach dazu und würde von ihnen gewünscht und gekauft. Für diesen Zweck einsetzen konnte man die bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannte drahtlose Funktechnik. Sie wurde anfänglich so genannt, weil ihre Pioniere hör- und sichtbare Signale (Funken) in Form von Oszillatoren erzeugten, die in einem getrennt stehenden Empfänger (einer Antenne) eine Spannung induzierten. Mit ihrer Hilfe begann anschließend der elektrische Strom zu fließen, mit dem sich Informationen an einen Empfänger übertragen ließen.
Teil 3 von 3 folgt am kommenden Sonntag an dieser Stelle.
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
© 2023 C.H. Beck
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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