Steckergerätefurunkel in grau und schwarz

von Wendelin Haverkamp

Wendelin Haverkamp - Foto Manfred Zehner
Steckergerätefurunkel 
in grau und schwarz
 
Die rötlich-grünliche Weiterentwicklung von Renaissance, Gotik und Romanik: Die Zahl der Balkonkraftwerke steigt. Die Solarmodule haben sich, so die Medien, nehmen wir mal an, es stimmt trotzdem, in einem Jahr auf rund 1 Million verdoppelt. Stand früher dem Deutschen der Sinn nach einem Gartenzwerg im Vorgarten, verlangt es ihn nun nach Solarmodulen, die er sich grau-schwarz an den Balkon nageln kann. Wie danach die Stadt aussieht, geht den Home-Office-Bürgern am, wie heißt das Ding nochmal? Danke, genau da, vorbei.
Der offizielle Name der neuen Energieerzeugungsapparate lautet „Steckersolargeräte“. Bei Sonnenschein speisen sie eine, wie man hört, „Leistung“ per Steckdose in das „heimische Netz des Besitzers“ ein, der dadurch womöglich weniger Strom beziehen muß; genau weiß das keiner. Die Leistung ist vorsichtshalber begrenzt auf 800 Watt, spielt also für die Energiebilanz keine Rolle. Dafür aber haben deutsche Männer am Grill neben Helene Fischer ein schönes, neues Thema.
       Boah! Wat sieht dat fuuurchbar aus! Früher durfte man nicht mal seine Unterhose auf dem Balkon zum Trocknen aufhängen, jetzt knallt sich die digital entkultivierte Bevölkerung den Steckergerätefurunkel frontal an die Fassade. Meist werden die Solarschandflecken am Balkon befestigt, was aber nicht zwingend ist. Man kann sie sich auch vor die Stirn tackern, was das zuständige Ministerium gewiß sofort genehmigen würde, weil ein Brett vorm Kopp nachhaltig für Geschmacklosigkeit sorgt.
       Am höchsten ist übrigens der Ertrag, so wissenschaftliche Forschungen eines früheren, fachlich hochqualifizierten Wirtschaftsministers, wenn der Balkon nach Süden ausgerichtet ist und „kein Schatten auf die Solarmodule fällt“. Hoffentlich wurden für diese sensationelle Erkenntnis Forschungsgelder in unbegrenzter Höhe verabreicht. Will sagen, in der Sonne ist es wärmer als im Kühlschrank, oder auch: Follow the science! Blubberte früher schon Gretel Thunfisch. Wenn allerdings so ein Fisch um die Ecke geschwommen kommt, sollte man sich schnellstens entfernen, sonst riecht man hinterher selber nach gut abgehangener Fischaktivisten-Weisheit.
       Man kann sich natürlich auch alternativ ein textiles Solarmodul auf den Pullover häkeln und es sich damit energieproduzierend auf seinem Austritt bequem machen. Mit dem Ausruf: „Ich muß mal austreten“, kündigt man also nicht mehr an, daß man pinkeln muß, sondern: Ich geh’ mir mal eben ein paar Watt fangen! Innovative „Start Ups and Downs“ arbeiten bereits an einem mobilen Solargerätemodell, das man auf dem Lastenrad anbringt oder bei einem Ausritt mit dem familiären Zweirad auf einem kleinen Wägelchen per Kordel hinter sich her zieht, huidibuidi! Was mit Sicherheit die Motivation von Kindertagesstättenbesuchenden stärkt und „zur Rettung der Klimakatastrophe“ beitragen wird. Ein sehr beliebter Versprecher. Denn wer es so gut meint, der muß nicht denken können.
       Der Anteil an der bundesweiten Stromerzeugung durch grottige Balkonkraftwerke wird amtlicherseits übrigens als „eher gering“ eingeschätzt. Aber es kommt aufrechten Aktivisten natürlich nicht auf die Menge des erzeugten Stroms an. Wichtiger ist, daß eine klimaschonende Maßnahme auch in Kitas und Grundschulen widerspruchslos nachvollzogen werden kann. Über die Verschandelung von Stadt und Land wird kein Wort verloren, weil Ästhetik einfach kein deutsches Thema ist. Hier lebt man zufrieden in fahrradvorrangroutenrötlicher Häßlichkeit.
Man stelle sich einmal die Bebauung von Straßen, Plätzen und Höfen in den Städten vor, komplett bestückt mit pseudomoralischem Energie-Selbstbeschiß. So also denken sich unsere Vordenker die Ästhetik einer neuen „Stadtgesellschaft“. Jetzt noch die Bebauung schön verdichten, Fahrradständer dazwischen knallen, ein paar temporäre Pflanzenkübel auf Rädern durch die Fußgängerzone schieben, fertig ist das Paradies. Aber bitte frage keiner, wie dieser gigantische Müllhaufen später mal entsorgt werden soll. Vielleicht in einem Furunkel-Endlager zusammen mit den Millionen Tonnen Sondermüll-Dämmungsmaterial, die von der letzten Hysterie noch rumliegen? Und da unseren übriggebliebenen Atommüll drüberkippen. Bei Lösungen, die mit „End“ anfangen, haben’s die Deutschen einfach drauf.
 
 
...aus Wendelin Haverkamps kleiner satirischen West Zipfel Postille