Schützenvereine unterstützten das NS-Regime

Untersuchung eines Historikers der Ruhr-Universität Bochum

von Andreas Rehnolt
Schützenvereine unterstützten das NS-Regime
 
Untersuchung eines Historikers der Ruhr-Universität Bochum
 
Bochum - Schützenvereine in Deutschland haben während der Zeit des Nationalsozialismus durchaus auch für das Regime gefeiert und geschossen. Dies ergab eine am Donnerstag veröffentlichte Studie des Historikers Henning Borggräfe am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Damit revidierte der Forscher ein 60 Jahre altes Selbstbild der Schützenvereine, so die Hochschule. So hätten sie die Ziele der Nazis teils im vorauseilenden Gehorsam unterstützt, etwa beim Ausschluß von jüdischen Mitgliedern aus ihren Vereinen schon im Jahr 1933 oder bei der "Wehrhaftmachung" großer Teile der Bevölkerung im Krieg.
 
Am Beispiel dreier westfälischer Schützenvereine und ihrer Dachverbände und auf breiter Quellenbasis legt Borggräfe in seiner Untersuchung erstmals eine detaillierte Studie über Schützenvereine zur gesamten NS-Zeit vor. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen ein Verein aus  Lippstadt, einer "katholischen Hochburg des Zentrums", aus dem mehrheitlich evangelischen Hattingen, einer "frühen Bastion der extremen Rechten" sowie aus Lünen, einer damals "gemischt konfessionellen Stadt, die die Linke politisch dominierte". Borggräfe hat für seine Studie zahlreiche Quellen ausgewertet, unter anderem die Vereinsberichte in den örtlichen Zeitungen  von damals.
 
Erstmals hat er darüber hinaus die einschlägigen Verbandszeitschriften, insbesondere die "Schützenwarte" in der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig und in der Staatsbibliothek Berlin systematisch analysiert. In der bisherigen Forschung vollkommen unberücksichtigt, hätten sie sich als "ergiebigste Quelle" erwiesen, so der Autor. Seine Untersuchung rückt die deutschen Schützenvereine in ein neues Licht. "Sie waren weder Opfer des NS-Regimes, wozu sie sich bis heute selbst stilisieren, noch waren sie Hort des Widerstandes", hieß es in der Studie. Auch wurden die Vereine laut Borggräfe nicht totalitär gleichgeschaltet. Auf organisatorischer, personeller und inhaltlicher Ebene hätten sie sich vielmehr seit 1933 an das System angepasst und gleichzeitig bestimmte Traditionen bewahrt.
 
So wehrten sich viele Vereine zum Beispiel erfolgreich gegen eine einheitliche Uniformierung der Schützen, was jedoch kein politischer Widerstand war. "Vielmehr haben sich Schützenvereine in den Nationalsozialismus und der Nationalsozialismus in die Schützenvereine integriert", so der Historiker. Mit Schießen und Feiern hätten die Schützen zudem zwei Kernziele des Nationalsozialismus berührt und befördert: Die "Volksgemeinschaft" zu realisieren und die Bevölkerung auf den Krieg vorzubereiten. Insbesondere beim Schießen weiteten viele der Vereine ihr Engagement in jeder Phase über das von ihnen geforderte Maß aus. Die Studie zeigt, dass die Vereine "aus eigenem Antrieb" ihren Beitrag zur Wehrhaftmachung der Bevölkerung leisteten - vor allem in der vormilitärischen Schießausbildung der männlichen Bevölkerung. Die Vereine stellten zudem der Hitlerjugend und der SA ihre Expertise und Infrastruktur zur Verfügung.
 
Unstrittig ist nach Überzeugung des Autors, daß die Schützenvereine die NS-Ideologie schließlich weitgehend übernommen hatten. So riefen sie ebenfalls frühzeitig zum Angriff auf die Sowjetunion auf. "Die inhaltliche Radikalisierung war ein Wandlungsprozess der Schützen selbst, ein Prozess, der im evangelischen Hattingen, aber auch im gemischtkonfessionellen Lünen anfänglich schneller vonstatten ging als im katholischen Lippstadt, letztlich aber zu den gleichen Ergebnissen führte.