Lack trinken ist riskant
Wie der Video-Assistent dem Fußball schadet
Von Lothar Leuschen
Eines der wenigen echten Derbys im deutschen Profifußball hat am Samstag den Beweis dafür angetreten, daß Unfehlbarkeit dem liebsten Kind der Deutschen das Wichtigste nimmt. Sie kostet Emotion, sie kostet die Chance, spontan auf das zu reagieren, was auf dem Rasen gerade geschieht. Die Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln war ein einziges Plädoyer dafür, den Videoschiedsrichter im sogenannten Kölner Keller sofort und fristlos zu kündigen. Er schafft zwar objektiv Gerechtigkeit, weil er Verstöße entlarvt, die der Schiedsrichter auf dem Spielfeld übersehen hat. Aber er stört den Spielfluß, und er stört das Empfinden der Fans auf den Rängen. Wenn selbst die Anhänger der Gladbacher skandieren, daß die Technik „unseren Sport kaputt“ macht, obwohl die Borussia gleich zweimal vom Video-Unparteiischen profitierte, dann läßt das tief blicken. In Gladbach führte der Einsatz der Technik zur Aussage des Kölner Trainers, Lukas Kwasniok, daß er den VAR hasse, und sein Kollege Eugen Polanski pflichtete ihm bei. In Berlin, wo Union den Bayern einen Punkt abtrotzte und der Videoassistent ebenfalls eingriff, mutmaßte Trainer Steffen Baumgart nachher, daß da jemand „Lack gesoffen“ haben müsse.
Nüchtern betrachtet, sind die Entscheidungen aus dem Kölner Keller in der Regel richtig und nachvollziehbar. Sie haben tatsächlich den Vorteil, daß sie Gerechtigkeit herstellen. Aber der Preis ist hoch. Denn je länger die Technik genutzt wird, desto schlechter werden die Schiedsrichter auf dem Platz. Das war am Samstag in Gladbach zu sehen. Im Zweifel bleibt die Pfeife stumm, es gibt ja in Köln jemanden der eingreifen kann. Das machen die Videoassistenten denn ja auch – und nehmen dem Spiel die Spontaneität und die Unwägbarkeit. Dabei lebt der Fußball davon, daß Fehler gemacht werden, von Spielern, aber auch von Schiedsrichtern. Er lebt davon, daß er unberechenbar ist. Einen großen Teil dieser Unberechenbarkeit hat der Einsatz des VAR bereits kassiert, weil die Fans nicht mehr wissen, ob sie sich über ein Tor ihres Herzensclubs wirklich freuen dürfen. Das wird diesem Sport auf Dauer schaden und beweisen, daß es sehr riskant ist, Lack zu trinken.
Der Kommentar erschien am 11. November in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
Redaktion: Frank Becker
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