Als wär’s ein Film von gestern

„Frankenstein“ von Guillermo del Toro

von Renate Wagner
Frankenstein
USA 2025

Drehbuch und Regie: Guillermo del Toro
Mit: Oscar Isaac, Jacob Elordi, Christoph Waltz u.a.
 
Früher – es ist allerdings schon sehr lange her – begab sich „Kino“ ausschließlich auf der großen Leinwand, und es gibt Aficionados, die noch immer meinen, es sei „the only way“, um Filme richtig anzusehen. Allerdings kam bald das Fernsehen und spielte alles nach, man konnte Filme auf DVDs kaufen, und mittlerweile sind die Streaming Plattformen eine wahre Macht im Business. Um ihren Kunden, denen sie monatliche Zahlungen abverlangen, nicht nur Besonderes, sondern auch „Ausschließliches“ zu bieten, produzieren sie selbst und sorgen möglichst dafür, daß ihre Produkte nur bei ihnen zu sehen sind.
Kurz gesagt, Netflix zeigt nun „Frankenstein“ von Guillermo del Toro, dem Schöpfer seltsamer, teils hoch gepriesener Filmereignisse wie etwa „Shape of Water“. Seit „Frankenstein“ bei den Festspielen in Venedig lief, hat er kritische Hymnen erhalten und hat die Zuschauer entsprechend neugierig und begierig gemacht. Und ja, sie bekommen ihr Meisterwerk.
 
Man muß über diesen „Frankenstein“ auf mehreren Ebenen berichten. Interessant zuerst, daß weder Luc Besson mit „Dracula“ noch del Toro mit „Frankenstein“, den berühmtesten „Horror“-Werken der Literatur, ebendiesen Horror im Sinn hatten. Beide interessierten sich weit mehr für die menschliche Geschichte – Besson für die Sehnsucht des grausamen Blutsaugers nach Liebe, del Toro in der Menschwerdung des „Geschöpfs“ von Viktor Frankenstein schlechtweg um Zuneigung, menschlichen Regungen. Bei beiden kann das am Ende sogar eine Spur kitschig werden, und beiden nimmt man es nicht übel. Die Zeiten, da ein Frankenstein-Geschöpf wie Boris Karloff aussah, sind vorbei. Heute ist vordergründig, grausig und dämonisch nicht mehr die Ultima Ratio großer Regisseure.
Bevor man auf die emotionale Essenz der Geschichte kommt, muß man die Machart von „Frankenstein“ schlechtweg bewundern, selbst wenn man dem Regisseur vorwerfen könnte – so man es wollte -, daß er gewissermaßen in die Welt der alten Hollywood-Monumentalfilme zurückgekehrt ist. Solche Opulenz hat man lange nicht gesehen, und anders als gleichfalls groß auftrumpfende Regisseure (Ridley Scott zum Beispiel) ist bei del Toro gar nicht (oder kaum merkbar) die Computertechnologie beteiligt. Er hat alles spürbar „echt“ gebaut, mit echten Effekten versehen, hier wird „Gothic“ als Milieu und Stimmung beschworen, und man fragt sich, wie er mit einem Budget von 120 Millionen Dollar ausgekommen ist.
 
Del Toro komponiert unglaubliche Bildwelten, allein in der Rahmenhandlung, die am Nordpol spielt und den Zuseher in eine unheimliche Eiswelt versetzt. Hier erzählt der gerettete Dr. Frankenstein, der seinem entlaufenen „Geschöpf“ hierher gefolgt ist, dann dem dänischen Kapitän eines gestrandeten Frachters seine Geschichte, wobei die dann fortlaufende Handlung immer wieder unterbrochen wird, um sich schließlich im Eis zu vollenden.
Dazwischen erlebt man ungemein ausführlich die Geschichte von Viktor Frankenstein von Jugend an – der Vater, ein bedeutender Arzt, konnte die Mutter dennoch nicht retten. Der Sohn, der so dringend und vergeblich vom Vater geliebt werden will, erlebt dieses Phänomen erneut, wenn es dann sein „Geschöpf“ ist, das ihn menschlich erobern möchte.
Bis er dieses aus Leichenteilen zusammen gesetzt hat, um den Tod zu besiegen, vergeht eine gute Kinostunde von den zweieinhalb, die del Toro für seine Geschichte braucht. Hier hat er übrigens eine Figur erfunden, einen Waffenhändler, der die Idee künstlicher Menschen forciert (Christoph Waltz ist hier nicht ganz so eindrucksvoll wie als Vampir-Exorzist in „Dracula“). Felix Kammerer spielt in einer kleineren Rolle Frankensteins jüngeren Bruder.
 
Als das Geschöpf zusammengestellt wurde, zerfleischen sich Viktor Frankenstein (großartig, wie Oscar Isaac nach und nach zusammenbricht) und der ewig Unbenannte (hinreißend, wie Jacob Elordi immer menschlicher und schöner wird) in einem wahren Psychothriller, wo es weniger (wie der Roman sonst meist interpretiert wird) um die Gewissenlosigkeit des Wissenschaftlers geht als um die Unfähigkeit zu lieben. Und selbst, wenn dann die Frage im Raum steht, wer wen töten will, wird del Toros Film keinesfalls zur Horrorstory. Im Gegenteil – später, im Eis, wenn das Geschöpf Viktor verzeiht, das festgefahrene Schiff mit seinen Riesenkräften aus dem Eis befreit und gewissermaßen in den Sonnenuntergang (oder Sonnenaufgang) schreitet… da spielt sich alles auf tief menschlicher Ebene ab. So düster. So wunderbar.
Man sieht zweieinhalb Stunden mit großen Augen zu. So schön war Kino gestern. Schade, daß es nicht auf eine Riesenleinwand kommt.