Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette...

Es geht gar nicht ums Rauchen

von Wendelin Haverkamp

Wendelin Haverkamp - Foto Manfred Zehner
Was ich noch zu sagen hätte, 
dauert eine Zigarette...
 
Es geht gar nicht ums Rauchen
 
Es ist vielleicht ein bißchen intim und ich will Ihnen keinesfalls zu nahe treten, aber wir sind ja praktisch unter uns: Rauchen Sie? Echt? Und das geben Sie auch noch zu? Kaum zu fassen. Das ist ja hochgefährlich. AfD wählen ist schon schlimm, aber Rauchen? Und es ist auch bestimmt nicht einfach, zu seiner Sucht zu stehen. Das muß man ja meistens. Also stehen. Weil Sie vor die Tür geschickt werden, zum Beispiel in den verschneiten Garten, und da stehen ja selten Stühle, da stehen dann Sie. Oder in die Garage. Oder auf Balkone, und das ist richtig gefährlich.
       Ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben: Gerade neulich noch sind fünf Raucher mit ihrem Balkon abgestürzt, furchtbare Sache. Einfach abgebrochen. Aber es ist kein Wunder. Der deutsche Norm- Austritt ist nur ausgelegt für Leergut bis 1,5 Tonnen, und wenn da noch 5 übergewichtige Raucher dazukommen, das geht natürlich überhaupt nicht. Und mit dem Rauchen, das ist ja erst der Anfang. Was glauben Sie, was demnächst auf uns zukommen wird an gesundheitsfördernden Debatten? Die „nächsten Wahlen“ stehen immer vor der Tür, sonst wären es ja nicht die nächsten, und da muß man rechtzeitig die richtigen Themen besetzen.
Die Frage ist: Mit welchen Themen kann der Politiker von heute überhaupt noch die Wähler erreichen? Keinesfalls mit der „Rente“ oder so was, das ist viel zu kompliziert. Ich würde ja als Politiker im Wahlkampf sofort ein absolutes, weltweites Rauchverbot fordern. Auch für Eckkneipen in Tasmanien. Das kostet nix und die Wähler wären begeistert. Denn ob West oder Ost, das lieben die Deutschen: Anderen vorschreiben, wie sie leben sollen. In diesem Punkt hat die Wiedervereinigung wirklich zusammengebracht, was zusammengehört. Zum Beispiel Raucher vor die Tür zu schicken und zwar, jetzt kommt es: Vor die Tür von Räumen, in denen man sich selber gar nicht aufhält. Das ist der höchste Level beim Verbote-Gamen.
       Der Deutsche glaubt nämlich ganz tief innen drinnen, daß er in den Himmel kommt, wenn er den Müll richtig trennt. Zwar sieht er jede Woche, wie die Müllmänner den zuvor getrennten Abfall im Müllauto wieder zusammenkippen, aber das spornt ihn nur an. Viele behaupten ja, Sitte und Anstand seien verlottert. Wer sowas sagt, der sollte mal tief in eine seiner mehrfarbigen Mülltonnen gucken. Dann sieht er sofort: Der Deutsche ist ein zutiefst moralischer Mensch. Ihm ist nichts zuviel, wenn er zärtlich das Papieretikett von der Konservendose ablöst, und dann - na Kevin? Richtig: Das Papier in die Papiertonne und die Dose in den Dosen-Sack wirft. Setzen! Aber die allergrößte moralische Herausforderung ist natürlich das Befolgen von Vorschriften, die eindeutig keinen Sinn haben. Das ist was für Fortgeschrittene, das ist Deutschland, das ist die Königsklasse, quasi der „Extreme-Level“.
       Nehmen wir mal zum Beispiel LED, also nur mal so als Beispiel. Lampen werden inzwischen so gebaut, daß man ihre Leuchtmittel, wenn sie kaputt sind, gar nicht mehr austauschen kann. Die sind untrennbar in die Lampen eingebaut, und deshalb muß man mit den kaputten LED die ganze Lampe wegschmeißen. Was für eine erstklassige sowohl umsatzfördernde als auch ökologisch einwandfreie Verschwendung! Dagegen waren Glühbirnen richtig umweltfreundlich. Aber die Pluspunkte für das Verbote-Befolgen reißen es wieder raus. Deshalb lassen sich die Deutschen gern freiwillig vom Quecksilber in Energiesparbirnen vergiften, denn danach kommen sie als Märtyrer ins Entsorgungs-Paradies. Da gibt es zwar keine Jungfrauen zur Belohnung, aber dafür jede Menge Glühbirnen.
       Wenn man weiß, wie widersinnig so eine Regelung ist, schafft aber trotzdem die Glühbirne ab, muß man Tag für Tag mühsam den inneren Logik-Schweinehund niederkämpfen. Das kostet Kraft, und das ist Hochleistungsmoral. Aber wer Export-Weltmeister sein will, muß auch im Moral-Export vorn mit dabei sein, mit USA, China und Türkei - da gehören wir moralisch auch hin. Ja früher! Da waren die Deutschen immer die Bösen, das ist vorbei. Inzwischen darf der Deutsche bei den Guten mitmachen, und da will er natürlich der Allerallerbeste sein, anders kann er nicht. Und so ist er nie glücklicher als in dem Moment, in dem ihm gerade ein paar neue, maximal unsinnige Vorschriften eingefallen sind, mit denen er sich und alle anderen optimal quälen kann. Dann und nur dann erreicht er den Moralpunkte-Höchststand und hat, das glaubt er fest, dereinst am Himmelstor die besten Karten. Petrus war übrigens nie Fischer, das ist ein Gerücht. In Wahrheit war Petrus bei der Müllabfuhr. Bis der Hahn dreimal – aber das kennen Sie ja.
Und dann steht man da in der Schlange und denkt: Bestimmt werde ich gleich wegen meiner Verdienste nach vorn gewunken! Bestimmt! Das funktioniert! Wie sonst wäre in Schwaben der Kretschmann Ministerpräsident geworden?
       Zurück zum Thema: Natürlich ist Rauchen nachweislich ungesund. Deshalb ist es zu einfach, das Rauchen zu verbieten, denn so ein Verbot hat ja einen Sinn. Das ist zu primitiv, das gibt keine Punkte. Wir brauchen anspruchsvollere Verbote, Verbote ohne Sinn und Zweck, daß es quietscht beim Verbieten, zum Beispiel: Gänsebraten! Gänsebraten darf in Zukunft nur noch an Abhängige mit Rezept verkauft werden, und nur, wenn der Aufkleber drauf ist: „Die Einnahme von tierisch fettigem Fleisch kann tödlich sein“! Und am Nordseestrand lassen wir große Fahnen wehen: „Sonnenbaden kann zum Tode führen“. Und was lasen meine entzündeten Augen im Zwielicht stinkender Energiesparleuchten? In Brüssel brütet ein mit allen Wassern gewaschener Kommissar eine neue Sparvorschrift für Wasserhähne aus. Wir sollen uns in Zukunft nur noch tropfenweise betröpfeln dürfen. Schluß mit dem verschwenderischen Ganzkörperduschen! Ab sofort heißt es Montag Füße, Dienstag Hände, Mittwoch Haare, Donnerstag oder Freitag Genitalien. Je nachdem, an welchem Wochentag Ihnen Ihr Geschlechtsakt-Termin zugeteilt wurde. Das Wochenende ist dann tröpfelfrei.
       Was heißt eigentlich Gesundheit? Im Prinzip führt doch alles zum Tode. Besonders Hirsebrei und Ahornsirup. Und wo wir dabei sind: Wieso lassen wir eigentlich unsere Städte von Millionen von Haustieren zuscheißen? Das Halten von Hunden ist sofort zu verbieten! Vor allem das Halten von rauchenden Hunden. Überall in der Welt versammeln sich die Körperwahnsinnigen in Fitnesskathedralen und beten mit aufgespritzten Lippen für das ewige Leben ihrer gepiercten und durchtätowierten Bodys. Wissen Sie, was das Allerschlimmste dabei ist? Die wählen am Ende alle die Grünen. Erinnern Sie sich noch an Reinhard Mey? „Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette, und ein letztes Glas im Steh’n“.
       War das schön. Und das Schönste ist: Der lebt noch.
 

Wendelin Haverkamp