Einmal Führung, bitte

Dauerstreit in der Regierungs-Koalition

von Lothar Leuschen​

Foto: WZ

Einmal Führung, bitte
 
Dauerstreit in der Regierungs-Koalition
 
Von Lothar Leuschen
 
Die Frage ist inzwischen, was die Regierungskoalitionäre in Berlin den Bürgerinnen und Bürgern eigentlich noch alles zumuten wollen. In Zeiten, in denen Europa von allen Seiten unter Druck steht, in Zeiten, in denen Deutschland auf das vierte Rezessionsjahr in Folge zusteuert, in Zeiten, in denen es mehr denn je auf eine stabile Regierung ankommt – in diesen Zeiten geht es im Kabinett von Bundeskanzler Friedrich Merz nur darum, dem Regierungspartner Beinchen zu stellen und das Schwarze unter dem Nagel nicht zu gönnen. Der anscheinend nicht zu befriedende Streit entzündet sich täglich neu an einer Rentenreform, die zulasten aller Steuerzahler und langfristig auf Kosten der jungen Generation finanziert werden soll. Der andere Stein des Anstoßes ist die Reform des Bürgergeldes, die eigentlich nur eine kosmetische Operation ist, aber den Menschen in Deutschland das Gefühl geben soll, daß es sich niemand gemütlich machen kann in der steuerfinanzierten sozialen Hängematte.
 
Wem das alles bekannt vorkommt, der irrt sich nicht. Zwischen den Regierungsfraktionen und in der politisch interessierten Bürgerschaft toben seit Monaten Debatten über die beiden bisher zentralen Reformen dieser Bundesregierung. Doch statt sachlich zu diskutieren und verläßlich zu entscheiden, um die allgemeine Empörungstemperatur zu senken, gießen Mandatsträger und Regierungsvertreter Öl ins Feuer. Die Klassenkampfansage von Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) an die Arbeitgeber war nach dem Chaos in der Union um die Wahl einer Bundesrichterin der neue Tiefpunkt in der Amtszeit der Regierung Merz. Der Kanzler gerät dadurch immer stärker unter Druck. Denn wenn der kleinere Koalitionspartner einerseits auf einer teuren, aber nach Überzeugung von Experten grundfalschen Rentenreform besteht und andererseits sein Ja zur vergleichsweise marginalen Verschärfung der Bürgergeldregelung zurückziehen will, dann droht der beinahe doppelt so große Partner sein Gesicht zu verlieren. Vielleicht sollte Friedrich Merz seinen Vorgänger im Amt einmal befragen, was geschehen kann, wenn eine Führungskraft nicht führt.
 
 
Der Kommentar erschien am 5. Dezember in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
 Redaktion: Frank Becker