Ein Universalgenie von sprudelnder Kreativität

Arne Karsten über den Schöpfer des barocken Rom, Gianlorenzo Bernini

von Uwe Blass

Arne Karsten - Foto: Sebastian Jarych
Ein Universalgenie von sprudelnder Kreativität
 
Der Historiker Arne Karsten über den Schöpfer des barocken Rom,
Gianlorenzo Bernini, der bis heute die Stadt prägt
 
Hätte Gianlorenzo Bernini in seinem Leben nichts anderes entworfen als den Petersplatz, es könnte dennoch kein Zweifel über seinen Rang als einer der bedeutendsten Architekten der Kunstgeschichte bestehen“, schreibt Arne Karsten in seinem Buch Bernini – Der Schöpfer des barocken Rom – und verdeutlicht damit, daß die Arbeiten dieses Ausnahmetalents an nahezu jedem Ort in der Ewigen Stadt bis heute bedeutungsvoll und prägend sind. „Bernini war eben mehr als nur ein Bildhauer“, unterstreicht er seine Aussage, „er war ein Universalgenie und als solches hat er sich auch immer stilisiert.“ Der Sohn eines Bildhauers sei zwar von seiner Ausbildung her Bildhauer, doch er arbeitete in vielen künstlerischen Berufen. „Er war Architekt, hat als Maler gewirkt, er hat Theaterstücke geschrieben, er hat Alltagskunstgegenstände designt, würden wir heute sagen, und er war ein Mann von einer sprudelnden Kreativität, die ihn sein ganzes langes Leben, er ist fast auf den Tag genau 82 Jahre alt geworden, begleitet hat.“
 
Apollo und Daphne in der Villa Borghese

Apollo und Daphne von Bernini 1622 in der Galeria Borghese - CC BY-SA 4.0
 
Um Berninis Werke alle aufzuführen, müßte man halb Rom benennen, denn neben den berühmten Skulpturen habe er eine ungeheure Vielfalt an Kirchenfassaden, Palästen, an Brunnenanlagen und Platzeinfassungen, an Portraitskulpturen und Gemälden sowie diverse Grabmäler für Päpste und Kardinäle geschaffen, erläutert Karsten. „Zu seinen bedeutendsten Bauten, würde ich am Ende sagen, gehört am sichtbarsten bis heute der Petersplatz“. Doch auch seine Jugendwerke faszinieren Kunstinteressierte weltweit. „Die berühmte Gruppe der sogenannten vier Borghese-Skulpturen ist bis heute das Glanzstück der Villa Borghese. Man muß in diesem Museum inzwischen monatelang vorbestellen, wenn man da rein will. Das ist die Hauptattraktion.“ Zu den Meisterwerken Berninis zählt dort u.a. die zwischen 1622 und 1625 entstandene Skulptur ´Apollo und Daphne`. Das Werk zeigt das Motiv der Verfolgung von Daphne durch den in sie verliebten Gott Apoll aus dem Gedicht ´Metamorphosen` des antiken römischen Schriftstellers Ovid. Dargestellt ist der Moment, indem sich die fliehende Nymphe Daphne dem Begehren des Sonnengottes Apoll entzieht und sich in einen Baum verwandelt. Kunsthistoriker sehen in der Gestaltung eine dynamische Parallelität und einen überraschenden Bewegungsreichtum, dem sich der Betrachter kaum entziehen kann.
 
Der Petersplatz
 
Bernini prägte die Gestaltung des Petersplatzes im Vatikan, welcher zuvor nur ein trapezförmiger Bereich war, der zum Petersdom führte. „Das erreichte er“, erklärt der Historiker, „indem er, wie ja noch heute jeder Rombesucher sehen kann und wie man jüngst wieder bei Papsttod, Konklave und Papstwahl sehen konnte, die Hauptkirche der katholischen Christenheit durch seine Platzgestaltung mit dem städtebaulichen Kontext in Beziehung setzte. Die berühmten Kolonnaden, die den Platz einfassen und gleichzeitig den Zugang zum Petersdom regulieren, sind weltberühmt und omnipräsent.“ Bernini schuf dort zwischen 1656 und 1667 ein imposantes elliptisches Bauwerk mit 284 dorischen Säulen in vier Reihen, das den Petersplatz umrahmt.
 
Enfant terrible seiner Zeit
 
Gianlorenzo Bernini war ein Enfant terrible seiner Zeit. Viele Zeitgenossen mochten ihn nicht. Dazu Karsten: „Er war einfach, wie viele Künstler, ein unglaublicher Egozentriker, der Konkurrenten massiv wegdrückte, der es verstand, die Aufmerksamkeit seiner Umwelt, auch die Anerkennung für seine Werke, die oft in Werkstattarbeit, in Zusammenarbeit mit Kollegen entstanden sind, ganz allein auf sich zu konzentrieren.“ Sein Temperament stand ihm mitunter im Weg und er schreckte auch nicht vor Gewalt zurück. Dazu berichtet Karsten von der skandalumwitterten Geschichte um die junge Römerin Constanza Bonarelli im Jahre 1638. „Bernini hatte ein Verhältnis mit der Frau einer seiner Mitarbeiter. Diese lebenslustige junge Dame hatte allerdings gleichzeitig auch noch ein Verhältnis mit Berninis Bruder. Und als er beide in Flagranti erwischte, heute würden wir sagen, ´rastete` er aus. Er verfolgte seinen Bruder, wollte ihn mit einer Eisenstange totprügeln, was aber Passanten verhinderten, und schickte einen Diener zu Constanza Bonarelli mit dem Auftrag, ihr das Gesicht mit einem Rasiermesser zu zerschneiden, was dieser Diener, aus Furcht vor seinem Herrn, der vor Wut fast besinnungslos war, dann auch tatsächlich machte.“ Heute kaum noch vorstellbar, erhielt Bernini lediglich eine Geldstrafe. Am Ende der amourösen Verwicklungen blieb Costanza bis zu ihrem Tode 1662 bei ihrem Mann. Bernini heiratete 1640 Caterina Tezio, mit der er 11 Kinder hatte. Interessant in diesem Zusammenhang ist die zwischen 1644/48 entstandene Büste der Medusa, die man heute im Kapitolinischen Museum in Rom bewundern kann, deren Gesichtszüge unter all dem Schlangenhaar starke Ähnlichkeit mit seiner einstigen Geliebten Constanza Bonarelli aufweist.
„Es waren damals andere Zeiten und man tut gut daran, eine Zeit aus ihrer eigenen Wertewelt zu verstehen oder verstehen zu lernen“, sagt Karsten, denn das sei die Hauptaufgabe von Historikern. In früherer Zeit habe man Affekte ganz selbstverständlich ausgelebt, die uns heute unheimlich vorkämen. „Das gilt für Wutausbrüche, das gilt aber auch für Begeisterungsstürme. Das sind Dinge, die wir heute brav und diszipliniert, wie wir sind, ´strange` finden, die man in der Zeit selber aber immer wieder beobachten kann und die zur Normalität gehörten.“
 
Der Diener mehrerer Päpste

Berniniengel auf der Engelsbrücke in Rom, Foto © UniService Third Mission
 
Bernini hat vielen Päpsten gedient. Da sich nach jeder Papstwahl die Herrschaftseliten änderten, mußte auch Bernini sich immer wieder neu erfinden, und das gelang ihm vor allem durch seine enorme Kreativität. „Was er schuf, war so gut, so interessant, so innovativ, daß auch da, wo er aus politischen Gründen in Krisen geriet, am Ende diese Kreativität triumphierte.“ Ein schönes Beispiel dazu ist Papst Innozenz X. (1644 – 1655), der am Anfang seiner Regierungszeit auf Berninis Dienste verzichten wollte, weil der so eng mit seinem verfeindeten Vorgänger liiert gewesen war und in dessen Diensten stand. „Als er dann irgendwann einmal einen Entwurf von Bernini sah, sagte er lakonisch: ´Wenn man nicht will, daß Bernini etwas baut, darf man sich seine Entwürfe nicht anschauen.` Wenn man sie einmal gesehen hatte, dann waren sie überwältigend.“ Eine ganz besondere Beziehung verband ihn allerdings mit dem späteren Papst Urban VIII. (1623 – 1644). „Urban VIII., als Kardinal hieß er noch Maffeo Barbarini, war schon zu Zeiten seiner Kardinalstätigkeit mit Bernini befreundet, soweit das über gesellschaftliche Standesgrenzen möglich war. Er war ihm sehr wohl gesonnen.“ Dieser Papst sei ein außerordentlich engagierter Kunstmäzen gewesen, verstand sehr viel von Kunst und verstand vor allem, was er in Bernini hatte. „Er soll ihn nach seiner Wahl begrüßt haben mit dem Satz: ´Groß ist euer Glück Cavaliere Bernini, Urban VIII. als Papst zu sehen, aber größer noch ist unser Glück, während des Pontifikats den Cavaliere Bernini in Diensten zu haben. ` Ein generöses und auch wahres Wort.“
 
Auch große Künstler erleben Desaster
 
Die Fassadengestaltung des Petersdoms wurde für Bernini zur Niederlage seines Lebens. Da der Petersdom über einen langen Zeitraum entstand und es immer wieder Änderungen in den Entwürfen gab, waren am Ende die Proportionen nicht ganz glücklich gelungen. „Bernini versuchte das Problem zu beheben, indem er zwei Glockentürme an den Seiten der Fassade aufführen ließ. Dabei traten allerdings Risse im Fundament und auch im Mauerwerk auf, so daß die Statik nicht funktionierte und die Türme wieder abgetragen werden mußten. Das war natürlich für die Reputation des Architekten Bernini eine Katastrophe“, sagt Karsten. Und auch im Ausland war der ewige Römer nicht recht erfolgreich. Im Alter von 67 Jahren lieh ihn der Papst erstmalig an Frankreich aus. Von dort kehrte er sehr deprimiert wieder nach Rom zurück, denn keiner seiner Entwürfe für den Louvre, die er dem französischen König liefern sollte, wurde verwirklicht. „Überhaupt erweist sich während des Parisaufenthaltes die Mentalität des erfolgsverwöhnten Römers mit der französischen Hofaristokratie als wenig kompatibel“, sagt der Fachmann, „Bernini eckte an. Er war seinerseits brüskiert von der Unhöflichkeit vieler französischer Aristokraten. Am Ende schied man nicht gerade im Eklat, aber doch so, daß Bernini seine Reise als Fehlschlag empfand.“
 
Bernini und Michelangelo – zwei Workaholics im Kirchendienst
 
Bernini wird oft mit Michelangelo verglichen. „Was sie verband, war diese ungeheure Intensität, Schaffenskraft und der Wille, diese Schaffenskraft in Projekte umzusetzen“, erklärt Karsten. „Beide waren Workaholics, Bernini hat mal von sich gesagt: ´Ruhe fällt mir schwerer als alles andere, da kämpft man gegen sich selbst und sein innerstes Naturell. ` Das hätte Michelangelo auch gut so sagen können.“ Einen Unterschied sieht der Historiker in der eher etwas gezähmteren, höflicheren und höfischeren Art des Künstlers Bernini und sagt: „Er wußte sich auf dem glatten Parkett der Aristokratie im Umfeld des Papstes mit einiger Sicherheit, wenn auch immer wieder mit gelegentlichen Wutausbrüchen, aber im Großen und Ganzen gesellschaftlich akzeptiert, ja sogar bejubelt, zu bewegen. Michelangelo war viel eigenbrötlerischer, noch viel mehr eben nur auf seine Kunst fixiert.“ Die Hofgesellschaft, in der Bernini sich mit großer Virtuosität bewegte, blieb Michelangelo zeit seines Lebens fremd. „Bernini ist ein typischer Vertreter seiner Zeit und eine Figur, die als Künstler, aber eben auch als Höfling im Umfeld der Päpste bis heute von ungebrochener Faszination ist. Es gibt keinen Künstler, der Rom so sehr gestaltet hat, wie Bernini.“
 
Buchtip:
Arne Karsten
Bernini: Der Schöpfer des barocken Rom, 4. Aufl. 2024
Verlag: C.H.Beck, München
 
PD Dr. Arne Karsten (*1969) studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in Göttingen, Rom und Berlin. Von 2001 bis 2009 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin. Seit dem Wintersemester 2009 lehrt er als Junior-Professor, seit der Habilitation 2016 als Privatdozent für Geschichte der Neuzeit an der Bergischen Universität.