Schwanengesang mit einem Lächeln

„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ von Wolfgang Becker

von Renate Wagner
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Deutschland 2025

Regie: Wolfgang Becker
Mit: Charly Hübner, Christiane Paul, Leonie Benesch,
Leon Ullrich, Daniel Brühl, Peter Kurtz u.a.
 
Wir alle wissen, wie schwer es die Menschen der DDR hatten. Sie mußten in einem System leben, das manches Schlechte des Nationalsozialismus übernommen und manches Schlechte des Kommunismus dazu bekommen hatte. Nur wer sich anspruchslos dort einrichtete, bezahlte die mangelnde Freiheit gerne mit der „Sicherheit“, die der Staat bot. Ein totalitäres Regime, das freihändig entscheiden konnte (natürlich mit der Sowjetunion als „Großen Bruder“ im Hintergrund), mußte sich schließlich nicht, wie die demokratischen Systeme, in allen Fallstricken von Justiz und Institutionen verfangen.
Nach der „Wende“, der Wiedervereinigung, damit umzugehen, war für den Westen ein überaus heikles Thema in der Realität und für die Künste. Man weiß, daß „Ossis“ und „Wessis“ einander oft zähneknirschend gegenüber standen (und gelegentlich tun sie es heute noch), und die ernsthafte Aufarbeitung des Geschehenen wie in dem Meisterwerk „Das Leben der Anderen“ (2006) gelang nur selten. Leichter hatten es jene, die mit echtem Humor und Ironie auf die deutsch / deutsche Vergangenheit zugingen wie Leander Haußmann mit seinen Filmen „Sonnenallee“ (1999) oder „Herr Lehmann“ (2003).
Das diesbezügliche Meisterstück gelang allerdings Regisseur Wolfgang Becker 2003 mit „Good Bye, Lenin!“, worin Daniel Brühl seiner von Katrin Sass verkörperten Mutter nach einer langen geistigen Absenz ihrerseits verheimlichen wollte, daß es die DDR nicht mehr gibt, um der wackeren Genossin den ideologischen Schock zu ersparen.
 
Nun wollte Regisseur Wolfgang Becker, Jahrgang 1954, es noch einmal wissen, fand es an der Zeit zu hinterfragen, wie die Bundesrepublik mit ihrer DDR-Vergangenheit umgeht – genauer gesagt: Wie diese nach Bedarf verdreht und umgedichtet, auch verniedlicht und nach heutigen ideologischen Bedürfnissen zweckmanipuliert wird. Eigentlich ein ernstes Thema, das in einer wunderbaren Komödie meisterlich abgehandelt wird.
Nur daß Wolfgang Becker seinen Erfolg nicht mehr erleben darf. Er ist vor einem Jahr gestorben, aber man kann ziemlich sicher sein, daß seine Mitglieder den Film in seinem Sinn vollendet haben. Nun ist er in den Kinos, man lacht und lacht und lacht, aber es ist nie billig, sondern immer hell erleuchtend, wie die erfundene Geschichte da erzählt wird. Es ist der lächelnde Schwanengesang eines wichtigen deutschen Regisseurs.
Sie basiert auf dem Roman „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ von Maxim Leo und muß 2019 zum 30. Jahrestag des Mauerfalls spielen. Wer je dem Journalismus in die Nähe gekommen ist, weiß um den Druck von Jubiläen. Man kann nicht immer dasselbe schreiben (tut es meist doch), ist aber jedenfalls immer auf der Suche nach einer neuen Story. Journalist Alexander Landmann (Leon Ullrich) stöbert also in alten Stasi-Akten und findet den Fall (er ist erfunden, aber nicht unglaubwürdig), daß ein gewisser Micha Hartung (Charly Hübner), vor 35 Jahren Angestellter der damaligen Reichsbahn, absichtlich eine Weiche falsch gestellt habe, worauf ein Zug aus der DDR in Westberlin gelandet sei und die größte Massenflucht aus der DDR der damaligen Zeit ausgelöst habe… Der Stasi-Akt meldet Geständnis, Gefängnis, in der Folge Verbannung in ein Braunkohlewerk in der Lausitz.
Heute ist Micha ein ziemlich verwahrloster, wenn auch von seiner Tochter Natalie (Leonie Benesch) heiß geliebter Loser, Besitzer einer der letzten Videotheken am Prenzlauer Berg, Filmfan und – sonst nichts. Bis Journalist Landmann vor seiner Theke steht, Michas Heldengeschichte hören will, mit Euro-Scheinen winkt – und dann läßt sich Micha (das Geld braucht er wirklich) gewissermaßen eine Geschichte abpressen, die es nie gegeben hat, aber für den Journalisten geben muß, denn man erlebt auch die Redaktionskonferenz, wo der Chefredakteur (Arnd Klawitter) ihn geradezu in diese gloriose „menschliche Geschichte“ (man vergleicht ihn gleich mit Oskar Schindler!) hineinhetzt.
 
Die sozialen Medien, die es damals auch schon gab, läßt der Film glücklicherweise außen vor, es gibt auch so genug Trara um den neu gefundenen Helden, der vor die Fernsehkameras gezerrt wird (dort sitzt Katharina Witt, die einstige DDR-Größe ,neben ihm am Sofa), der einen Werbespot dreht (mit Jürgen Vogel als geplagtem Regisseur), und schließlich lädt ihn sogar der Bundespräsident (Bernhard Schütz) ins Schloß Bellevue ein und schlägt ihm vor, zum Mauerfall-Jubiläum eine Rede im Bundestag zu halten – solcherart bekommt nicht nur der Journalismus, sondern auch die Politik eines aufs Haupt, die gnadenlos an ihrer geschönten Vergangenheitsbewältigung arbeitet.
Aber es gibt andere, die an dieser Vergangenheit gut verdienen – etwa jener Harald Wischnewsky (Thorsten Merten, zu Beginn im kompletten Solschenizyn-Look), der sich als Dissident und Augenzeuge ununterbrochen herumreichen läßt, wobei es eine herrliche Szene mit kritischen Kindern in der Schule gibt („Mein Papa sagt aber…“), die ihm seine Erzählung durchaus nicht ohne weiteres abkaufen. Und dann entschlüpft dem Herrn wütend, was in der DDR eventuell besser war – wenn Teenager (weil sie nichts anderes zu tun hatten) herumknutschten, statt immer nur auf ihre Smartphones zu starren…
 
Am schwächsten wird die Geschichte, wenn sie ihre politische Abrechnung verläßt (die noch auf einigen Ebenen in der Politik, der rundum Medienverwertung und der „Experten“-, sprich NGO-Welt, herumfegt) und in die Liebesfalle tappt. Eine ziemlich neurotische Staatsanwältin, die damals als Kind in dem Zug in den Westen saß, glaubt, sie muß ihren Retter kennen lernen. Als dieser, weil sich der aufrechte Berliner ja doch nicht verbiegen läßt, ihr die Wahrheit sagt – es war nicht Absicht, es war ein Irrtum, ein Unfall, weil er eine Weiche, statt sie zu verstellen, einfach zerbrochen hat -, scheint alles aus, aber…
Aber da ist ja noch die geradezu geniale Szene mit Peter Kurth als dem Ex-Stasi-Kapazunder, der gemütlich in seinem Häuschen lebt und so zynisch die Wahrheit offenbart, daß klar wird – da waren keine Idealisten am Werk, sondern einfach nur skrupellos handelnde Mächtige, die in diesem Fall den armen kleinen Reichsbahnangestellten zum Bauernopfer erkoren haben, um eigenes Versagen nicht zuzugeben. Und im übrigen habe man diesen Micha auch noch von seiner eigenen Frau bespitzeln lassen (als die Mauer fiel, war sie von einem Tag zum anderen dann auf Nimmerwiedersehen weg). Berührend, als Micha das – spät aber doch – erfährt und klar wird, daß seine Tochter es längst gewußt hat. Sie hat sich nämlich die Stasi-Akte angesehen, aber beschlossen, dem Vater den Schmerz zu ersparen. Aber er bekommt, es sei verraten, mit seiner Staatsanwältin ja doch noch ein Happyend.
Und Christiane Paul spielt das wunderbar, Charly Hübner ist die Idealbesetzung für den Mann, der durch seine erfundene Geschichte segelt und am Ende doch nicht bereit wäre, die Lüge ewig aufrecht zu erhalten.
 
Und da ist noch ein darstellerisches Tüpfelchen auf dem „i“, denn natürlich wird Michas Geschichte verfilmt, und so grotesk es ist, den großen, ungeschlachten Berliner von dem kleinen, schmalen Daniel Brühl (unvergeßlich in „Good Bye, Lenin!“) spielen zu lassen, liefert der doch eine absolut hinreißende Show. Allein, wie er sein Vorbild nach Strasberg-Methode studiert und nachmacht! (Daß er De Niro kopieren kann, zeigt er auch.) Und wie er auf die Frage, ob er etwas machen könne, mit einem schulterzuckenden verächtlichen „Pta!“ antwortet, ist nicht nur hohe, sondern allerhöchste Schule.
Am Ende wird die Geschichte, die so klug erzählt wird und ihre ernste Substanz immer heiter nimmt, grundsätzlich relativiert. Was ist denn schon wahr? Richten wir uns die Vergangenheit, die Erinnerungen nicht immer nach Bedarf ein? Hat im übrigen Voltaire tatsächlich gesagt: „Geschichte ist die Lüge, auf die sich alle geeinigt haben“ ? Zuzutrauen wäre es ihm.
Aber bei aller Freundlichkeit des Tons – über die Verlogenheit, die Berechnung, die Manipulation, die auf so vielen Ebenen der Gesellschaft und Politik herrschen, wurde dennoch eine Menge gesagt.