Schön und sonst nichts?

Hubert Nowak – „Eleonora“

von Renate Wagner
Schön und sonst nichts?
 
Wer „Eleonora“ sagt, denkt an die Duse. Aber sie war nicht die Duse, diese war nur ihre Taufpatin (und zeitweise die Geliebte ihres Vaters – dafür hatte ihre Mutter ein Verhältnis mit Mussolini). Die Nachwelt hat die Schauspielerin Eleonora von Mendelssohn (1900-1951) vergessen. Sie war zwar die schönste in Max Reinhardts Ensemble, aber nicht die beste, da liefen ihr unscheinbarere Damen wie die Wessely oder die Thimig den Rang ab. Dennoch wollte Eleonora von Mendelssohn immer vor allem eine Schauspielerin sein. Doch zu Lebzeiten glänzte sie vor allem als schillernde Erscheinung der High Society und Kultur-Schickeria.
Der Autor Thomas Blubacher hat ihr und ihrem Bruder vor 17 Jahren eine faszinierende Doppelbiographie gewidmet – Eleonora und Francesco von Mendelssohn (1901-1972) , reich, schön, begabt, beide letztlich an ihren Süchten (sie Morphium, er Alkohol) zugrunde gegangen, ebenso wie an ihrem exzessiven Lebensstil. Sie durchfegten die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts ähnlich unwiderstehlich wie die Geschwister Erika und Klaus Mann. In diesem Buch über Eleonora spielt der Bruder kaum eine Nebenrolle
 
Denn der Wiener Journalist Hubert Nowak hat sich in, wie man im Nachwort liest, fünfjähriger Recherche-Arbeit auf Eleonora allein konzentriert. Herausgekommen ist keine Biographie, wie man es bei historischen Gestalten lieber hat, sondern ein historischer Roman. Ein verdächtiges Genre – wenn Caesar die Stirn runzelt, Cleopatra verführerisch lächelt und man seitenweise Gespräche nachliest, die sie angeblich geführt haben, weil irgendein Autor von heute es sich so vorstellt, ist man auf einer anderen Ebene der Literatur.
Aber für Hubert Nowak war dies offenbar eine Möglichkeit, sich dieser Frau zu nähern, ohne daß man sie – das sei voraus geschickt – letztendlich wirklich verstehen würde. Dazu sind die erratischen Sprünge ihres Lebens zu wild. Auch wenn der Autor unendlich in ihrem Seelenleben stöbert, alles begreifen will und lange Gespräche erfindet (nicht zuletzt mit ihrer Freundin Marlene Dietrich), die Klarheit schaffen sollen.
Woher allerdings das Material kommt, das er bietet, erfährt man trotz langer Aufzeichnung der verwendeten Literatur nicht. Wo kommen etwa die breit zitierten Briefe an und von Rudolf Forster her (zumal dessen Autobiographie in der Literatur-Liste gar nicht verzeichnet ist).? Wie real sind Figuren wie Freundinnen oder Dienstpersonal? Sicher, wer einen historischen Roman schreibt, darf erfinden. Aber wo verlaufen die Grenzen? Sicher nicht dabei, Gustaf Gründgens zu einem „Gustav“ zu machen (was zumindest Lektoren hätten korrigieren müssen).
 
Also – Eleonora. Die Mendelssohns, geadelt, waren (auf Moses Mendelssohn, das Vorbild für Lessings Nathan, zurückgehend), Berliner Geldadel und jüdischer Adel zugleich, wenn die meisten Mitglieder der Familie auch längst evangelisch waren (und die Mutter von Eleonora und Francesco, eine italienische Pianistin, nicht nur keine Jüdin, sondern später überzeugte Nationalsozialistin – aber da waren ihre Kinder glücklicherweise schon in der Emigration, ausgestattet mit einer Fülle hochrangiger, von ihrem Vater einst gesammelter Kunstwerke, die ihren Lebensstil sicherten).
Dieser Vater, Robert von Mendelssohn, war ein besonderer Mann (und daß Eleonora mit keinem Mann glücklich wurde, interpretiert der Autor als Vater-Komplex), nicht nur erfolgreich in der Leitung des familieneigenen Bankhauses, sondern auch Musiker, Kunstsammler – und Mäzen. So sah die kleine Eleonora schon als Kind Max Reinhardt bei ihrem Vater aus und ein gehen, immer gewissermaßen um Geld bettelnd. Robert unterstützte großzügig, und Eleonora tat dasselbe ihr ganzes Leben lang, denn Reinhardt war die Liebe ihres Lebens. Daß er sie später als Schauspielerin engagierte, mag weniger mit ihrem Talent als mit ihrem Geld zu tun gehabt haben. „Schön und sonst nichts“, lautete eine Kritik über sie. Von Reinhardt war sie schwanger, der (damals noch illegale) Abbruch wurde so stümperhaft durchgeführt, daß sie nie wieder schwanger werden konnte, auch wenn sie sich während der Ehe mit Rudolf Forster geradezu pathologisch besessen ein Kind wünschte.
 
Vier Ehen – die erste mit dem Pianisten Edwin Fischer (von 1919 bis 1925), rätselhaft das Ganze, die Ehe vielleicht gar nicht vollzogen, dann (1927 bis 1936) mit dem österreichisch-ungarischen Rittmeister Emmerich von Jeszenzky, auch rätselhaft, der sich stets zurückzog, wenn Eleonora während der Salzburger Festspiele ihre grandiosen Feste in ihrem Schloß Kammer am Attersee gab. Am meisten Profil gewinnt der Schauspieler Rudolf Forster (von 1938 bis 1944), der sie wohl ebenso wenig geliebt hat wie ihre anderen Gatten, sich aber von ihr von einer Wiener Freundin weg nach Amerika locken ließ, mit Aussicht auf eine Filmkarriere, die sich nie materialisierte, worauf er nach Nazi-Deutschland zurück kehrte, wo man ihm großzügig die Ehe mit einer Jüdin (das Bankhaus ihrer Familie war schon konfisziert) nicht übel nahm. Die Ehe mit dem homosexuellen Schauspieler Martin Kosleck schloß sie 1947, angeblich nur, um ihre Einsamkeit zu bekämpfen, aber er hatte nur Sinn für seine Affären mit schönen jungen Männern.
Reinhardt, an dessen Seite immer Helene Thimig war, konnte sich nicht zu ihr bekennen (sie tröstet sich später zeitweise mit seinem Sohn Gottfried), mit Arturo Toscanini hatte sie ein Verhältnis unter den Augen seiner milden Gattin Carla, sie rühmte sich, einen so berühmten Homosexuellen wie Noel Coward für eine Nacht verführt zu haben, und viele andere Bettgenossen waren eben nicht so berühmt. Die lesbischen Andeutungen ihrer Freundin Marlene Dietrich (mit der sie in endlose Gespräche verwickelt ist), hat sie angeblich abgewiesen…
Die Liebe zu Reinhardt begleitete sie lebenslang, sie war es, die den Sterbenden in New York bis zu seinem Ende pflegte. Nun kann man froh sein, daß Helene Thimig nicht mehr lebt, denn sie hätte wenig Freude daran, quasi als der „Krampus“ der Geschichte zu erscheinen. Der Autor kann nicht genug tun, die Reinhardt-Gattin mit Eleonoras Augen zu sehen und in allem, was sie tat, herunterzumachen, ihr also auch zu unterstellen, es wäre ihr auch in der Emigration nicht um Reinhardt, sondern nur um ihren in Wien zurück gelassenen Freund Anton Edthofer gegangen (den sie nach der Rückkehr ja auch heiratete), daß sie absichtlich die Pflege des Sterbenden gerne Eleonora überlassen hätte, um sich dann zu entrüsten… Häßliche Geschichten, häßlich dargeboten.
 
Das Buch hat 510 Seiten, und man würde sagen, daß die gebotenen Fakten nicht einmal die Hälfte des Platzes benötigt hätten. Der Autor vergräbt sich in das Seelenleben seiner Heldin, verwendet unendlich viel Zeit auf die Schilderung von Wetterumständen (!), und wer auf die Jagd nach Stilblüten ginge, wird reichlich fündig (von „Das Jahr trank gerade seinen allerletzten Schluck“ bis zum „Wühlen in der Krabbelkiste ihrer Seele“).
Weit interessanter ist der Versuch, die politische Entwicklung der Zeit immer einzubringen, und wer sich in der Epoche auskennt, wird dem ausführlichen Name-Dropping der künstlerischen Prominenz mit Vergnügen folgen. Nur ob die schöne, unglückliche Eleonora den ganzen Aufwand wert war, muß jeder Leser für sich entscheiden. Das obligate Mitleid mit den „armen reichen Mädchen“ bringt man ihr immerhin entgegen
 
Hubert Nowak – „Eleonora“
© 2025 Braumüller Verlag, 510 Seiten, Gebunden - ISBN-13: 9783992004034
28,- €
 
Weitere Informationen: https://www.braumueller.at