Auch das Jahr 2025 hat mal ein Ende
Danach winkt ein neues, ewiges Zeitalter,
und das erklärt uns, man kann es kaum glauben, die:
„Bundesgesellschaft für Endlagerung“
Die gibt es tatsächlich, die „Bundesgesellschaft für Endlagerung“, kurz „BGE“, inklusive einer umfangreichen Verwaltung im bisher strahlungsarmen Peine. Diese Institution ließ kürzlich von sich hören in Form einer Beilage, die der FAZ, der ZEIT, der Süddeutschen und weiß Gott wem noch beilag. So hat das Bundesumweltministerium elegant einen Betrieb in die Welt gesetzt, der in ausreichender Menge Planstellen für verdiente Mitarbeiter bereitstellt für den Fall, daß die Wahlen anders ausgehen als gedacht. Denn wenn es ein Ende hat mit den Freßnäpfen der Regierung, muß man ja sehen, wo man bleibt. Die besagte Zeitungsbeilage, das muß man neidlos anerkennen, bewegt sich auf überraschend hohem sprachlichen Niveau. Und man fragt sich: Wen wollen die Herausgeber erreichen mit Texten, die keine Rücksicht auf das sprachliche Unvermögen des internetverseuchten Wahlvolkes nehmen? Anders als beim Geplapper in den asozialen Hetzwerken werden dem Leser ganze Sätze zugemutet, hier und da sogar mit Hypotaxen und Parataxen aufgepolstert. Fremdworte werden nicht gescheut und durchziehen den Satzbau landminenartig, selbst Konjunktive blühen auf in der „BGS“. Man könnte auch sprechen von einer verbalen Nebelmaschine für Endlagerung.
Ich vermute, daß es sich bei den Autoren dieses Werks um überwiegend ältere Menschen handelt, die noch wissen, wo der Ablativ zuhause war, aber aus Angst vor Verfolgung durch die Drückerkolonnen der IT-Firmen in der „Schattigen Pinie“ untergetaucht sind. Von hier aus führen sie anonym Auftragsarbeiten für diverse Ministerien durch, um ein bißchen Taschengeld für die Konsumspitzen im Heim dazu zu verdienen; 2.000 € sind in Zukunft ja monatlich steuerfrei. Und es besteht großer Bedarf, denn immer mehr immer jüngere Ministerialbeamte können zwar mit zwei Fingern mehrmonatige Urlaubsreisen durch Südostasien stornieren, aber keinen Bleistift mehr halten und schon gar nicht mit der Hand schreiben. Woher soll man wissen, wo ein Satz anfängt und wo er aufhört, wenn schon das Ablesen vom Teleprompter schwer fällt. Unsere künftigen Ministerialbeamten werden nur noch per Handy aufgezogen und ihr rudimentäres Sprachverständnis entwickelt sich erst allmählich beim Beschriften von Plakaten für z.B. freitägliche Demos. Hier helfen die Undercover-Autoren aus der „Schattigen Pinie“ schon aus familiären Gründen gerne aus, weil es sich bei den inzwischen die B-Gehaltsstufen erreichenden Ministerial-Luschen zunehmend um eigene Nachkommen handelt: Um Enkel und Enkelienen, Nichten und Nichtienen, Neffen und Neffienen und viele Gleichstellungsbeauftragte und Gleichstellungsbeauftragtienen. Worum aber geht es nun der „Bundesgesellschaft für Endlagerung“ im Wesentlichen? Natürlich. Man will „Bewußtsein wecken“, was in der öffentlich-rechtlichen Sprechhitparade immerhin an zweiter Stelle liegt, knapp hinter „wir wollen ein Zeichen setzen“. Und wofür? Richtig, für die endgültige Lagerung von endgültig unangenehmem Restmüll, der zu allem Überfluß auch noch strahlt.
Danach dürstet die Öffentlichkeit, seitdem deutsche Atommeiler abund neue Atommeiler in Frankreich aufgebaut werden. Man will den zielführenden Fragen zuvorkommen, als da sind: Sollen die Franzosen, unsere ziemlich besten Freunde, die Nase vorne haben, den Weg der globalen Atomisierung bei zunehmend besserer Luft allein beschreiten und so mit gutem Gewissen die Welt gefährden? Und wir sind schon wieder nicht dabei mit unseren Strahlenmüll-Bedenken?
Daher empfiehlt uns die „BGE“, festen Schrittes den Weg zur sicheren Endlagerung zu beschreiten. Wenn dann die anderen am Tag des Zorns, (dies irae, dies illa, Sie verstehen), verzweifelt trompeten: „Oh! Da ist uns doch wieder ein bißchen zuviel Strahlung ausgetreten“, können wir ausrufen: „Dä! Wir sind dann mal weg, und zwar endgültig“. Der Deutsche liebt ja das Endgültige, eigentlich wartet er nur auf den Ruf: „Wollt ihr die totale Endlagerung?“
Schon die Überschriften der Artikel im besagten Heft lassen das hohe Reflexionsniveau der „Bundesgesellschaft für Endlagerung“ erkennen. „Der lange Weg zum Endlager“ lautet eine, großartig. Oder könnte es sich um den Titel eines Beitrages im deutsch-französischen Gemeinschaftsprogramm „arte“ handeln, in dem Bestattungsunternehmer von ihren Erfahrungen berichten?
Natürlich auf deutsch und französisch zugleich, hier Endlager, dort AKW, verbunden mit der Frage: Wo kommt man schöner zu liegen? Verglühend in der Bretagne oder verstrahlt in Ostwestfalen? Da bildet sich aber das Bewußtsein, daß es kracht, und die Zeichen setzen sich von selber. Eine andere Kapitelüberschrift lautet: „Zeit ist nicht gleich Zeit“. Ich war begeistert. So einen Titel hätte ich eher in einer philosophischen Abhandlung erwartet, und vielleicht, fällt mir gerade ein, wäre „Sein und Zeit“ gar nicht mehr geschrieben worden, wenn der deutsche Heidegger von der Möglichkeit der Existenz einer „Gesellschaft für Endlagerung“ gewußt hätte. Und die französischen Existenzphilosophen hätten einpacken können, mal im Ernst: „Das Sein und das Nichts“? Sartre sollte endgültig endgelagert werden.
In dieser erstaunlichen Bundesgesellschaft werden auch die großen Widersprüche auf einfache Weise gelöst: Man schreibt sie untereinander, und fertig ist die Laube. Heißt es auf Seite 4 unter der Ankündigung „Jahrtausende im Blick“, die Endlagersuche zwinge uns, „in Generationen zu denken und nicht in Quartalen“, klingt es unter „Tempo schafft Vertrauen“ auf Seite 13: „Warum zu viel Gründlichkeit manchmal auch gefährlich sein kann“.
Und bevor man begriffen hat, daß beides nicht zusammenpaßt, heißt es auf Seite 7, wie zu befürchten war, es gehe um „Entscheidungen für eine Million Jahre“. Ich hab noch heute Morgen beim Frühstück gedacht, wie schön es wäre, eine Million im Lotto zu gewinnen. Die kann ich mir noch unter Aufbietung aller Kräfte vorstellen. Aber eine Million Jahre? Da verfliegen alle Bedenken im Nebel, und schon heißt es: „Gerade in der Endlagersuche zeigt sich, daß Sicherheit manchmal Tempo braucht.“ Genial. Sicherheit braucht Tempo! Also mit Höchstgeschwindigkeit ins Endlager? Politiker ham’s auch nicht leicht. Deshalb gründen sie Institute wie die „Bundesgesellschaft für Endlagerung“. Wenn schon eine seriöse Vorhersage der Inflationsrate für die nächsten sechs Monate nicht seriös möglich ist, wie macht man dann eine Planung für Millionen von Jahren? Ich finde, man sollte sich nicht in ausweglosen Positionen aufreiben und schlage einen anderen Weg vor. Kleine Anregung: Lagern heißt ja, daß irgendwo was rumliegt, und deshalb sollten wir uns besinnen auf das Liegen als solches.
Seit der Veröffentlichung meiner Lieder-CD „Nur liegen ist schöner“ im Jahre 1992, die bereits damals wenig verkauft wurde, thematisiere ich in meinen Werken immer wieder das Thema „Liegen“ an und für sich. Denn ich glaube, hieraus lassen sich praktisch alle wesentlichen philosophischen Fragestellungen mit poetischen und musikalischen Mitteln aufarbeiten, wobei ich das Setzen, Stellen und Knien keinesfalls vernachlässigen möchte und in anderen Werken ebenfalls intensiv behandelt habe.
Besonders fasziniert mich seit frühester Jugend das Liegen. Ich halte es ohne Übertreibung für den eigentlich urmenschlichen Aggregatzustand. Schon in meinen Zeugnissen stand regelmäßig: Haverkamp könnte wesentlich bessere Leistungen erbringen, wenn er nicht dauernd irgendwo rumliegen würde. Aber das Liegen wird bis heute meist unterschätzt. Dabei liegt der Mensch doch weite Strecken seines Lebens: In der Wiege, in der Sonne, im Bett, mal unten, mal oben und meistens daneben. So kristallisiert sich die entscheidende Frage heraus, die wir im engen Spannungsfeld unseres Denkens beantworten müssen. Sie kennen sicher auch die durch Kant verursachte, leidige Fragen-Inflation: Warum ich? Wer fährt? Was soll ich lassen und wohin? Wem ist das Fahrrad (Dativus ethicus) und letztendlich: Wer kann mir 10 Euro leihen? Natürlich gibt es Leute, die stehen lieber. Das sind meistens dieselben, die sonntagmorgens im Frühtau zu Berge spazieren gehen, ohne Frühstück, aber dafür mit festem, schwerem Schuhwerk. In der berühmt-berüchtigten Herrgottsfrüh, und die dann den ganzen Tag frisch, ausgeruht und energiegeladen aussehen, das ist doch ein klarer Verstoß gegen die Schwerkraft.
Übrigens soll ja die Schwerkraft nach neuesten Forschungen morgens früh wesentlich stärker sein als im späten Nachmittag, sich am frühen Abend langsam fangen und dann über Nacht mächtig zunehmen. Schon Goethe berichtet ja, kleiner Exkurs, keine Angst, dauert nicht lange, von Schweizer Bergwanderhütten, in denen in Ermangelung von Luftmatratzen die Italienreisenden sich mit den Achselhöhlen auf stramm gespannte Seile zu hängen hatten, wo sie dann im Stehen schlafend die Nacht verbringen mußten. Da kann man ja gleich in die Kirche gehen.
Eine Stunde gezieltes Stehen in kalter Luft auf hartem Holz bei leichtem Weihrauch-Doping, das trimmt. Mir persönlich sind ja die Bänke zu hart, und am meisten stört mich, daß das immer so auf Kommando geht: Setzen-Stellen-Knien, Setzen-Stellen-Knien, aber Liegen, und das ist mal wieder typisch, Liegen kommt in der Kirche kaum vor. Und da wird auch nicht lange diskutiert, sondern: Du sollst nicht liegen, aus und fertig. Und in der Kunst ist es ja noch schlimmer als in der Kirche. Da kann man noch nicht mal austreten, wenn’s einem nicht gefällt. Früher war es noch einfacher, sich vor Kunst zu schützen, beim Fernsehen zum Beispiel, da gab es noch die Ansager mit den subventionierten Gesichtern. Da konnte man noch schnell rufen: „Vorsicht Schatz, da kommt jetzt Kunst! Schnell ausschalten!“ Und man war nochmal davongekommen.
Aber heute? Man guckt nichtsahnend in den Bildschirm, vorne rechts kohabitieren vorbestrafte minderjährige Heiminsassen, selbstverständlich inzestuös auf dem Sofa, hinten links wird a tergo ein Hund geschlachtet, in der Bildmitte vergeht sich ein abgefallener Baghwan bisexuell an einer Stechpalme, man denkt: Nettes Programm heute, ich hol mir noch schnell ein paar Erdnüsse, und plötzlich kommt die Absage: „Sie sahen Ausschnitte vom diesjährigen Theater-Workshop in Hückelhoven“ – das ist doch glatter Betrug! Das ist doch hinterhältigste, kulturelle Penetration in übelster Form.
Aber ich komm’ vom Thema ab. Selber denken hilft zwar auch nicht immer, aber es gibt keine Alternative: Wir müssen uns schon selber überlegen, wie wir uns für die nächsten Millionen Jahre endlagern wollen.
Mehr zum Thema dann im neuen Jahr.
aus: Die Westzipfel-Postille hart an der Grenze – Ausgabe Ende Dezember 2025
© Wendelin Haverkamp
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