Stellt euch endlich, ihr Memmen!

Betrachtungen über die "Männlichkeit"

von Hermann Schulz

Hermann Schulz - Foto © Frank Becker
Stellt euch endlich, ihr Memmen!
 

Mit dieser Überschrift erschien am 1. März 2009 ein Artikel von Christian Ankowitsch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung; Untertitel: „Die Krise als Männerproblem“. Ich wollte im AMOS nicht über die Wirtschaftskrise schreiben. Mein geplantes Thema war die Vereinsamung von Männern; der Gleichaltrigen, die nach der Pensionierung entweder vertrotteln oder depressiv werden; der Jungen, die in den Schulklassen hoffnungslos hinter den Mädchen zurückhängen; der Männer im mittleren Alter, die sich zwischen Karrierekämpfen, Familienstress und Anpassung an feministischen Forderungen zerreiben und alles vergessen haben, was man unter stark und mutig, unter „männlich“ versteht.
 
Als ich den Artikel las, - Berichte über das Verhalten von Zumwinkel, Rick Wagoner von GM, Hartmut Mehdorn, die Manager der Hypo RE oder die Käufer von Märklin (die Liste ist sehr lang!) -, erinnerte ich mich daran, als Junge von 12 Jahren mit Zumwinkel am Niederrhein Fußball gespielt zu haben (meistens durfte er nicht mitspielen, so als hätten wir etwas geahnt!), und daß die Männerwelt in eine erschreckende Schieflage geraten ist.
 
Zur Zeit schreibe ich mit einer Schulklasse eine Geschichte, ein Gemeinschaftsprojekt des Autors und der Schülerinnen und Schüler. Die Mädchen schreiben ihre Szenen allein oder in Gruppen durchweg wunderbar kreativ. Sie folgen den Diskussionen mit klugen Beiträgen, schreiben offen auch über Gefühle und Stimmungen. Die Jungen bringen nicht mehr als trotzige Gegenstimmen und hölzerne Texte zustande und verbergen ihre gefühlte Wut über die Überlegenheit der Mädchen zur mühsam.
Bei einem Klassentreffen (Gleichaltriger, geboren zwischen 1938 und 1940) erschöpften sich die Gespräche mit den Männern erschreckend schnell, wenn Karriere, Ehe und Ehescheidungen, Probleme mit den Kindern abgehakt sind. Gespräche mit den Frauen sind dagegen durchweg frei von Angebereien; sie zeigen Nachdenklichkeit, Bewußtsein von ihrem Leben – und Neugierde, etwas wirklich Wichtiges zu erfahren.
Die meisten Männer, denen ich begegne und die ich vorsichtig anspreche, haben keine männlichen Freunde, mit denen sie sich austauschen. Zu mehr als zu „Kumpeln“ haben sie es nicht gebracht, das Flußbett Freundschaft scheint ausgetrocknet zu sein.
Kein Wunder, daß „Kumpanei“ in der männerbeherrschten Wirtschaft das einsame Markenzeichen einer ganzen Generation ist: Soviel Geld wie möglich, wo wenig Verantwortung wie möglich, protziges Gehabe. Von Versagen unter ihrem Regime haben sie nichts gewußt oder leugnen – und pochen, obwohl Milliarden auf Sand gesetzt wurden, auf Einhaltung von Verträgen und Zahlung ihrer Boni.
 
Was ist da los? Die einzige Antwort, die mir einfällt: Männer reden nicht mit Männern. Sie fürchten Konkurrenz, pochen auf die Hierarchie, haben Angst, sich und ihre Gefühle (wenn sie denn noch welche haben) zu offenbaren. Selbst von diesen Ängsten reden sie zu niemandem, aus Sorge, sie könnten Schwächen zeigen. Vermutlich reden sie auch nicht mit ihren Frauen, um das Erfolgsbild nicht zu gefährden. Diese Sprachlosigkeit ist einer der Gründe für das Scheitern vieler Ehen. Weil die Frauen es einfach satt haben, mit einem Gefühls-Zombie ins Bett zu gehen.
Die Forderung des Autors Ankowitsch (s.o.): „Sie müssen endlich die Klappe aufmachen und Auskunft geben über den Kern ihres Mannseins!“ bleibt deshalb ein unerfüllbarer Wunsch. Wie soll jemand die Klappe aufmachen, der keine Ahnung hat von „Männlichkeit“, der die wunderbaren Möglichkeiten, als „Mann mit Verantwortung und Mut“ zu leben, erfolgreich lebenslang verdrängt hat?
Wenn die Prominenten in Wirtschaft und Politik (und ähnliche Mischpoke) über den Kern ihres „Mannseins“ den Mund aufmachten, kämen nur Sprechblasen heraus. Wie soll ein Mann über sich selbst sprechen, der es nie gelernt hat? Der in Schulen gegangen ist, wo 80% des Lehrpersonals aus Frauen besteht? Deren Väter schon verlernt haben, sich wie „Männer“ und wirkliche Väter zu verhalten? (Und die Frauen das oft tatkräftig unterstützen!)
 
Wie befreiend das Sprechen „unter Männern“ sein kann, habe ich durch die Freundschaft mit einem Wuppertaler Schriftsteller erfahren, der auch nicht die peinlichsten, schönsten, erhabensten und verschrobenen Erfahrungen ausläßt. Wie das geht, ist kein Geheimnis: Er redet nicht von seinen Erfolgen, er redet von sich selbst! Erwähnt sei auch ein Gesprächskreis von Männern, den der Therapeut Martin Goldstein vor Jahren ins Leben gerufen hat. Hier finden die Debatten über wahre Männlichkeit statt. Ich bin sicher: aus diesem Kreis wird uns kein Mehdorn oder Zumwinkel erwachsen. Das ist doch schon ein Anfang, oder?

© Hermann Schulz - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009
 
Hermann Schulz lebt als Autor in Wuppertal. Er leitete von 1967 bis 2001 den Peter Hammer Verlag und schreibt augenblicklich an einem Roman über einen Afrika-Missionar.
Im Herbst 2009 erscheint im Carlsen-Verlag der Roman für Kinder „Mandela und Nelson. Das Länderspiel“ (über Fußball in Afrika). Das Kindermusical nach seinem Buch „Die schlaue Mama Sambona“ wird im Herbst in Westfalen, Sansibar und Bagamoyo aufgeführt.