Vor-Bilder werdender Personen

Janina Wicks Portrait-Serie >Dreizehn<

von Andreas Steffens

© Deutscher Kunstverlag
Vor-Bilder werdender Personen

Janina Wicks Portrait-Serie >Dreizehn<
 
Die Fotoästhetik ist dominiert von den fremdgesteuerten Blicken des Journalismus, der Werbung und der Mode: das Bild soll keine Vorstellung zeigen, sondern eine wecken. Auf den Blick des Produzenten kommt es nicht an. Ausschließlich auf die gelingende Manipulation des Betrachters, dessen Blick hin auf eine beabsichtigte Reaktion konzentriert wird. Eine dagegen unbekümmerte Selbstinszenierung der Lebenswelt des Amateurs in wilder Pseudoautonomie hat inzwischen auf diese Hauptdispositionen des fotografischen Blicks zurückgewirkt. Die jugendliche Pose beherrscht eine visuelle Modeinszenierung, in der eine infantile Gesellschaft ihr dramatisches Überaltern überblendet.
 
Dagegen hat jedes Bild, das aus einem autonomen Blick hervorgeht, anzukämpfen.
Seit Georg Simmel zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts die ‚soziologische Ästhetik’ erfand, gibt es die daraus folgerichtig erwachsene Option einer soziologischen Kunst. In der Fotografie begründete sie August Sanders >Antlitz der Zeit< von 1929. Sie  bildet den Hintergrund der Versuche, mit denen die jüngste Generation neuer Fotografen ihre eigene Ästhetik entwickelt. Auf der Suche nach einer individuellen Wiederaneignung der medial entrückten Wirklichkeiten, erprobt sie einen Synkretismus, der sich aus den verschiedenen Blick- und Kompositionsoptionen aneignet, was immer der Bildung einer eigenen Sicht förderlich sein kann.
 
Zu ihr gehört Janina Wick (*1976). Ihre Portrait-Serie ‚Dreizehn’, die im Berliner C/O’s e.V. im vergangenen Herbst in einer Ausstellung zu sehen war, ist in der Reihe ‚Talents 12: Junge Fotografie/Kunstkritik’ des Deutschen Kunstverlages dokumentiert worden, begleitet von einem Text der Kritikerin Ann-Christin Bertrand (*1975), und einem Gespräch, das diese mit der Künstlerin führte. ‚Dreizehn’ inszeniert die Posen Dreizehnjähriger, die auf der Schwelle zwischen Jugend und Erwachsenwerden nach eigener Haltung und eigenem Selbstbild suchen. Die gesellschaftliche Vorgeprägtheit des Blicks kann das autonome Bild unterlaufen, indem es in Sujet und Komposition den gesellschaftlichen Kontext, in dem es ent-steht, und in dem es wahrgenommen wird, reflektiert. Das gelingt Wick mit kühl distanziertem Blick der Distanz, indem sie die verhalten-unsichere, noch ganz spielerische, aber um den Ernst der Identität schon entschlossen bemühte Geste der jugendlichen Selbstdarstellung mit der ganzen Schärfe der gesellschaftlichen Inszenierungsästhetik zuspitzt.
 
So entstehen Bilder, die statt der beabsichtigten Selbstdarstellung der kaum schon ausgebildeten Person das Bild einer Absicht zeigen: erwachsene Bilder vom Erwachsenwerden. Es sind Simulationen eines Erwachsenseins, das es noch nicht gibt; Vorgriffe auf ein Sein, das zu entstehen strebt.
Es drängt sich auf, das Konzept zu erweitern, und die Portraitierten in zehn Jahren mit ihren Vorschaubildern auf ihr Erwachsensein zu konfrontieren, und ihnen ein Portrait des erwachsen gewordenen Menschen gegenüberzustellen.
Als Schülerin von Gosbert Adler, eines der profiliertesten deutschen Fotografen der ‚subjektiven’ Tradition, mit dem subjektiv-autonomen Blick ebenso vertraut wie als Schülerin Jitka Hanzlovás mit dem dokumentarisch-inszenatorischen, gelingt Wick ihr Spiel mit der heikelsten Grenzsituation des menschlichen Lebens in virtuoser Klarheit und überzeugender Strenge.
Diese Strenge und Distanz lassen die vom Sujet ausgehende Gefahr heikler Zweideutigkeit vermeiden. Dank ihrer wird man der jungen Frau durchgehen lassen, was einen männlichen Blick inkriminieren müßte.

Janina Wick / Ann-Christin Bertrand
Dreizehn
Junge Talente Fotografie/Kunstkritik, Bd. 12
© 2008 Deutscher Kunstverlag, München-Berlin
Text: Deutsch und Englisch. - 82 Seiten mit 13 farbigen Fotos und 25 schwarzweißen Abbildungen,
16,5 x 23 cm, Klappenbroschur - ISBN: 978-3-422-06847-6 - Text: German and English
19,80 € [D]  |   35,90 SFR [CH]