1.000 £ für eine Leiche

"Bei Anruf Mord" im Essener "Theater im Rathaus"

von Frank Becker
1.000 £
für eine Leiche

...und wie es bei der Essener Premiere von "Bei Anruf Mord"
gestern um ein Haar eine wirkliche Meucheltat gegeben hätte

Bei Anruf Mord

Kriminalstück von Frederick Knott,
Deutsch von Rudolf Schneider-Schelde

 

Inszenierung: Peter M. Preissler - Ausstattung: Horst Neumann
Besetzung: Isabella Schmid (Sheila Wendice), Stephan Bürgi (Tony Wendice), Tim Niebuhr (Max Haliday), Werner H. Schuster (Inspektor Hubbard) und Kay Szacknys (C.A. Swan, al. Cpt. Lesgate, Wilson, Adams)


Ein Mord wird geplant

Das dezent britisch elegante Wohnzimmer der 50er Jahre, das Horst Neumann stimmungsvoll auf die Bühne gestellt hat - mit großgeblümte Sitzgarnitur im Landhaus-Stil, Kamin, Schreibtisch und einem (wichtig!) Telefon W 48 - wird zum Schauplatz von Ehebruch, Mordplan, Erpressung und einem

Ein Mord wird geplant - Stephan Bürgi, Kay Szacknys (v.l.)
raffinierten Gespinst von Lügen und Intrigen: Sheila Wendice (Isabella Schmid) und Max Halliday (Tim Niebuhr) haben ein intimes Verhältnis. Die beiden sind nicht verheiratet, zumindest nicht miteinander - Sheila schon, aber mit einem anderen,
dem Ex-Tennisprofi Tony Wendice (Stephan Bürgi), der von ihrem Geld lebt und jetzt kurz davor steht, Ehefrau und Vermögen zu verlieren. Daß er die Affaire mit dem Kriminalschriftsteller Max längst entdeckt hat und der Erpresser ist, der Sheila mit einem gestohlenen Liebesbrief unter Druck setzt, wird offenbar, als er den ehemaligen Schulfreund Swan al. Cpt. Lesgate (Kay Szacknys), der nun ein gesuchter Betrüger ist, ebenfalls mit einem perfiden Plan erpreßt: Swan soll für 1.000 £ Sheila nach einem sorgfältig ausgeklügelten Mordplan umbringen. Die Tat soll geschehen, während Tonys Alibi ein Empfang ist, den er mit seinem Konkurrenten Max besucht. Mit einem versteckten Schlüssel soll Swan in die Wohnung gelangen und einen Einbruch vortäuschen. Das Signal zur Tat wird ein Anruf sein, der Sheila ans Telefon lockt, wo Swan sie versteck erwarten und erdrosseln soll.

Zuschauer-Chuzpe und falsche Spuren


Bei Anruf... - Isabella Schmid, Szacknys
Doch vor diesen Anruf hat die schreckliche Wirklichkeit einen anderen gesetzt. Trotz eindringlicher Ermahnung ans Publikum vor der Vorstellung, die mitgebrachten Mobiltelefone auszuschalten, schrillt nach knapp 20 Minuten ausgerechnet in der 1. Reihe, zweiter Sitz von links das Telefönchen einer Besucherin. Es dauert einen Moment, bis sie es im Handgepäck findet, dann nimmt sie sogar kurz den Anruf an. Soviel Chuzpe muß man haben! Hätte ich nicht sechs Reihen hinter ihr gesessen, es wäre womöglich zu einem außerplanmäßigen Totschlag durch Erwürgen gekommen. Und das Publikum hätte mir gewiß ein Alibi gegeben!
Zurück zum Stück. Swan dringt ein, versteckt sich, der Anruf kommt, der Mordversuch auch, aber das Opfer wehrt sich erbittrert und mit Erfolg: in Notwehr ersticht Sheila den Eindringling mit einer Schere. Was nun? Ehemann und Mord-Verschwörer Tony weiß mit raffiniert gelegten falschen Spuren, geschickt plazierten Lügen und manipulierten Beweisen Schritt für Schritt eine Beweislage zu schaffen, mit der er Sheila einen Strick dreht. Den wird der Henker um ihren Hals legen, denn sie wird des Mordes an Swan angeklagt und zum Tode verurteilt.

Ein Inspektor hört zu

Der eigentlich spannende Teil des Stücks von Frederick Knott entspinnt sich danach, als Max verzweifelt versucht, Sheila vor dem Galgen zu retten und mit dem smarten Tony ein

Ein Inspektor hört zu - Werner H. Schuster, Schmid, Tim Niebuhr
nervenaufreibendes Duell aufnimmt. Dritter im knisternden Bunde ist Oberinspektor Hubbard, den Werner H. Schuster formvollendet britisch und mit einer angemessenen Schlitzohrigkeit gibt. Er hört den Beteiligten zu, zieht seine Schlüsse und handelt unkonventionell. Er und Bürgi garantieren allerbeste Krimi-Unterhaltung vom guten alten Schlag. Denn wir befinden uns ja in einem telefontechnisch längst überholten Zeitalter: heute wäre ein solcher Ablauf gar nicht mehr möglich. Da hat man überall sein Telefönchen bei sich, es gibt DNA-Beweise und Mikrospuren - und die Todesstrafe ist in England abgeschafft. Das Buch ist psychologisch nicht durchweg schlüssig, aber das muß wohl so sein, damit die Handlung im Schwung bleibt. Und der ungebrochene Erfolg der Hitchcock-Verfilmung "Dial M for Murder" (1954) mit Grace Kelly und Ray Milland spricht für den hohen Unterhaltungswert.

Gelungenes Kammerspiel

Mit der dramaturgisch hervorragend eingesetzten Musik, einer passenden Besetzung, guter Lichtregie und der fast durchweg punktgenauen "Choreographie" ist Peter M. Preissler von der Braunschweiger "Komödie am Altstadtmarkt" ein Kammerspiel gelungen, das von der ersten bis zur letzten Minute Spannung ohne aufgesetzte Effekte auf die Bühne bringt. Trotz des durch den Film geschaffenen Informationsvorsprungs fiebert man mit. Der nostalgische Rahmen wurde glücklicherweise nicht verändert, auch wenn das Pfund Sterling heuer nicht mehr 12,- DM wert ist. Auch daran erweist sich die Qualität der Inszenierung.
Weitere Vorstellungen (mit W 48, aber hoffentlich ohne mobile Störungen) heute Abend und danach fast täglich bis zum 9. Mai im "Theater im Rathaus" Essen.

Termine und weitere Informationen unter: www.theater-im-rathaus.de/