"König Roger" in Bonn

Opernrarität auf höchstem Niveau

von Peter Bilsing
„König Roger“ in Bonn
Opernrarität auf höchstem Niveau
 
Król Roger (Der König und sein Hirte)
von Karol Szymanowski
 Oper in drei Akten
In polnischer Sprache mit deutschen Übertiteln
 
Musikalische Leitung: Stefan Blunier - Inszenierung: Hans Hollmann - Bühne: Hans Hoffer - Kostüme: Gera Graf - Choreinstudierung: Sibylle Wagner - Einstudierung des Kinderchores: Ekaterina Klewitz
 
Besetzung - Roger: Mark Morouse - Roxane: Asta Zubaite - Edrisi: Mark Rosenthal - Der Hirte: George Oniani - Der Erzbischof: Ramaz Chikviladze - Die Diakonissin: Anjara I. Bartz - Chor des Theater Bonn - Beethoven Orchester Bonn
 

Ein Meisterwerk

Die vielen Opernfreunden sicherlich unbekannte Oper „König Roger“ (Król Roger – UA 1926) des polnischen Komponisten Karol Szymanowski gehört zu den absoluten Meisterwerken des 20. Jahrhunderts. Einmal gehört, kann man sich dieser wirklich tollen Musik kaum je wieder entziehen. Bis vor wenigen Jahren gelang es noch, die wenigen Aufführungen der Oper an einer Hand abzuzählen. Ich habe sie zuletzt vor einem Vierteljahrhundert in Dortmund als Gastspiel, des Wielki Teatr Warschau genießen dürfen. Auf unseren sagenhaften beinah 80 deutschen Bühnen suchte man das Werk seitdem vergebens. Welche Schande.
 
Und welch ein Glücksfall, daß gerade der Bonner Opern-GMD Stefan Blunier nicht nur ein ausgesuchter Spezialist für die Musik des 20.  Jahrhunderts ist, sondern auch ein engagierter sowie ausgewiesener Szymanowski-Kenner, der sich nun mit dieser Oper intensiv befaßt hat. Seine Worte sprechen sicherlich nicht nur mir, sondern auch vielen anderen Fans dieses großen, leider viel zu früh gestorbenen, Komponisten tief aus der Seele:  „Ich kenne kaum eine klangintensivere, farbenschillernde und mit Schönheiten gesegnetere Musik als die Szymanowskis. Hinzu kommt, daß sie mit einem stupend handwerklichen Können komponiert wurde und mit einer still lodernden Leidenschaft versehen ist.“ Wunderbare Worte, ach könnte man das von allen moderneren Komponisten und zeitgenössischen Auftragswerk-Verwirklichern auch so überzeugend sagen…
 
Deutet sich eine Szymanowski-Renaissance an?

Endlich deutet sich, wie lange haben wir gewartet, dank Edinburgh (Danke, Simon Rattle!), Salzburg, jetzt Bonn, und im Sommer Bregenz die lange erwartete und eigentlich längst überfällige Renaissance dieses fabelhaften und mit gut 90 Minuten sogar angenehm kurz rezipierbaren Opernmeisterwerks an. Die Firma EMI hat sogar (dankenswerterweise!) eine eigene Szymanowski-Edition aufgelegt.
Im Gegensatz zu Salzburg hängt diese neue Bonner Produktion in keinem Moment durch, denn man hat in Hans Hollmann einen der ganz großen renommierten Regisseure gefunden, dem es auch perfekt gelingt, nicht nur im Großen zu reüssieren, sondern auch feinste Nuancen der Musik ins Szenische umzusetzen; eine ruhige und überzeugende Regiehand. Dazu passen die perfekte Lichtregie von Max Karbe sowie die prachtvollen Kostüme von Gera Graf.
 
Suggestive Traumstimmung

Das Volk, zu Beginn in langen Mänteln mit Zylinder, wird sich später in neoklassizistischen Prachtgewändern zeigen, während Roger in seiner schimmernden protzigen Samtjacke als eine glatte Kopie des alten Richard Wagner durchgehen könnte. Interessant auch, daß der Hirte anfangs wie sein alter ego gekleidet ist, bevor er sich als Dionysos (vom Himmel realiter herabfahrend) zu erkennen gibt.
Anfangs versinkt die Bühne in suggestiver Traumstimmung in den Stimmungsfarben grün bis blau. Am Ende wird es realistisch bunter, was sich auch in den farbenprächtigen Kostümen widerspiegelt, bevor alles im hellen Blau des im Orchester aufblühenden silberstrahlenden C-Dur verglüht. Eine überragende szenische Gestaltung.
Holtmanns Inszenierung entspricht ganz ausgezeichnet dem Charakter der doch vielfach recht oratorienhaft daherkommenden Musik. Kein sinnleerer Aktionismus trübt oder stört das Bild oder bricht die Spannung; und auch die Bühnentechnik leistet Überragendes. Zum Szenenwechsel entläßt man das Volk mit den Popen einfach langsam in die Bühnenunterwelt. Fabelhaft die Szene mit den Popen, wenn sich die goldenen Kruzifixe in ihren purpurfarben behandschuhten Händen plötzlich in silberne Pistolen verwandeln.

Die Einheitsbühne ist ein abstrakter Bühnenhalbkreis mit angedeuteten Amphitheater-Rängen, welche auch bewegungschoreographisch genutzt werden, manchmal erscheinen sie wie Traumräume. Alles ist großartig gemacht und hat Stil; Projektionen ergänzen sinnvoll das Gesamtkunstwerk dieses unglaublich gelungenen Bühnen-Ambientes, dem im letzten Akt noch ein riesiges Lichtpendel als eine Art tempus-fugit-Mahnung durchfurcht. In der Schwerelosigkeit betörender Klänge scheinen sogar einfache Requisiten wie Stühle plötzlich der Schwerkraft entrückt.
 
Blunier motiviert seine Musiker zu großer Leistung

Indem der König allein zurück bleibt, hat er seine urtümliche Welt verlassen und ist in eine neue eingetaucht. Er hat das Königsein überwunden und wirft die unsichtbaren Zwangs-Ketten, die ihn fast bewegungsunfähig gefangen hielten, symbolisch von sich. Endlich kann er sich als freier Mensch bekennen. Da blinzelt die Philosophie Hans Sachsens: „Nicht Meister, nein - will ohne Meister glücklich sein!“ Jedoch entspricht die Kernaussage, biografisch betrachtet, eher Manns „Tod in Venedig“. Aber dieser Achenbach stirbt nicht, noch nicht - zu einer täuschenden Musik, die trotz strahlendem C-Dur dennoch „strotzt vor Flageoletten in den Streichern, hell glitzernden Celesta und Schlagwerkklängen, kombiniert mit freischwebenden Hörnern“ (so Blunier), also subtil doch viele unechte, nicht harmonisch destillierte Klänge zusätzlich beinhaltet.
 
Wie zu erwarten, motivierte Stefan Blunier die Musiker des Beethoven Orchesters zu einer ganz großen Leistung. Hatte ich zur „Toten Stadt“ vor einem Jahr geschrieben, daß hier ein Orchester auf Weltklasseniveau agiert, so ist dem adäquat nichts hinzuzufügen. Nach einem Jahr wieder solch ein Ausnahmeabend, der Maßstäbe setzt und sowohl dem Opernfreund, als auch dem Kritiker nachhaltig vor Augen und Ohren hält, warum man, trotz der vielen Malaisen und Enttäuschungen, diese Gattung Oper doch so liebt und ihr hemmungslos die Treue hält.
 
Die Stimmen: höllisch gut

Aber nicht nur die Musiker spielen, als ginge es um ihr Leben, sondern auch die Protagonisten singen himmlisch oder sollen wir besser sagen: teuflisch gut. Mark Morouse hat die königlich schwere Partie bestens im Griff. Asta Zubaite singt ihre Roxane mit der Präzision einer großen Diva und ihre Stimme ist selbst aus dem Hintergrund noch traumhaft und akzentuiert wahrnehmbar. Mark Rosenthal, als Ratgeber Edrisi, paßt perfekt in dieses Team, wobei George Oniani, als Hirte/Dionysos jedoch die goldene Sangeskrone ziert. Intelligent meistert er die Höchstschwierigkeiten und überzeugt in dieser Rolle, die eigentlich nur als der tenorale Wahnsinn bezeichnet werden kann, rückhaltlos und stets auch immer noch lyrisch schön. Was für ein qualitativ homogenes Sänger-Team und das in einem mittleren Haus! Da schlägt Bonn zur Zeit die großen Konkurrenten in Köln und Düsseldorf um Längen.
 
Doch was wäre dieses Riesenwerk ohne die außergewöhnlichen Leistungen von Chor, Extrachor und zusätzlichem Kinderchor. Alle Chöre wurden von Sibylle Wagner und Ekaterina Klewitz (Kinderchor) nicht nur präzise eingestimmt, sondern auch sprachlich bestens vorbereitet. Eine Riesenarbeit, die auch im Schlußbeifall entsprechenden Widerhall fand.
 
Ein Abend der Superlative

Der fulminante, beinahe viertelstündige, nicht enden wollende Beifallsturm war ebenso überraschend wie berechtigt. Die perfekte Inszenierung Maßstäbe setzenden Musiktheaters und die Leistung aller Akteure hatten sich diesen Riesenapplaus ehrlich verdient. Es lohnt sich also schon, verehrte Intendanten, einmal auf Szymanowski, anstatt auf die immer gleichen Sonstigen zu setzen. Es gibt nur gute oder schlechte Musik. Leider setzt sich das Gute, häufig Unbekannte, gerade auf den Opernspielplänen nicht von alleine durch. Dank an den Intendanten Weise.
 
Also: Hinfahren! Hinfahren! Hinfahren! Was für ein Ausnahmeabend! „Der Opernfreund“ gibt ausnahmsweise sogar 6 Sterne – was höchst selten geschieht. Wer sich nicht gerade in Bregenz schon eingebucht hat, sollte auch lange Anreisewege nicht scheuen. Dieser Szymanowski ist ein Muß für alle Opernliebhaber; außerdem ist Bonn eine schöne Stadt, die auch einen mehrtägigen Aufenthalt lohnt; darüber hinaus wird in Bonn auch ausreichend Kultur neben der musikalischen angeboten.
 
Redaktion: Frank Becker