Renate Just macht wieder Krumme Touren

Band 4 der etwas anderen Reiseführer-Reihe führt nach Österreich und Böhmen

von Robert Sernatini
Im Lieblingsland

Renate Just ist eine Anstifterin. Und das wiederholt - mit aller Konsequenz und notorischem Vorsatz in ihren "Krummen Touren". Ihre jüngste Tat, eine Anstiftung zu Reisen in verschiedene verschwiegene Ecken  Österreichs, zu einigen böhmischen Nachbarn und mit einem bayrischen Appendix "Übernachtung beim Landadel" als durchaus erreichbare Gegenden und Ziele liegt in Griffweite auf dem Lesetisch. Man muß sich diesen Reise(ver)führer in kleinen Portionen zu Gemüte führen, denn er ist für Feinschmecker geschrieben - sowohl was den touristischen, wie den literarischen und auch den kulinarischen Aspekt angeht. Das kennen wir von Renate Justs anderen Büchern: delikat wie das ausgewählte Ziel einer ihrer kleinen Reisen ist auch die Jause unterwegs oder das am Ziel zur Belohnung eingenommene Abendessen.

Renate Just ist wieder viel herumgekommen seit ihrem dritten Buch, das im wesentlichen Niederbayern ebenfalls besonders
literarisch schmackhaft gemacht hat. Nach dem Ausflug ins Salzkammergut (Band 2) hat sie ihre Schritte erneut ins "popelkleine" südliche Nachbarland Österreich gelenkt und dabei mit Genuß dessen Reichtümer wiederentdeckt. Das fällt ihr nicht schwer, ist doch Österreich seit den Familienreisen in Kindertagen, den Sommerfrischen der frühen 60er schlicht ihr "Lieblingsland". Diese Reichtümer sind mannigfaltig,  seien es die Kulturschätze und die Literatur, seien es die Spezialitäten der österreichischen Küchen und Weinkeller oder in der Natur gesucht und gefunden deren Geschenke.

Wir besuchen Salzburg und seine Stadtberge, treffen auf Peter Handtke, springen mit Salzburg-Hasser Thomas Bernhard und seinem Freund  Karl Merkatz nicht vom Kapuzinerberg in den theatralischen Tod und genießen stattdessen die „rosastichige“ Dämmerung am winterlichen Mönchsberg und eine Mehlspeis im Café Wagner in der Neutorstraße. Adalbert Stifters Oberösterreich mit der Landeshauptstadt Linz ist, so erfahren wir eindrücklich, einem schrecklichen, monströsen  Schicksal entgangen – nämlich nach einem möglichen „Endsieg“ der Nationalsozialisten – projektiert war 1955 – im Gau Oberdonau eine NS-Musterstadt nach Hitlers Plänen zu werden, eine „Alptraum-Megalopolis“. Dafür gibt es heuer trotz Stahlindustrie eine gut gehende Flußfischerei (das Wasser der Donau sei so gut wie das der Salzkammergut-Seen), es gibt das Lentos-Museum und den schönen Ort Urfahr. Wir jausen dort im „Fischerhäusl“ oder in Linz im „Klosterhof“.
 
Die Fotos, die dem Leser im Kapitel „Eine Winterreise ins Waldviertal“ fast lethargisch entgegen kommen, signalisieren dem erfahrenen Krimi-Leser und –Zuschauer: Polt. Hier ließ Alfred Komarek seine wunderbaren Romane um den Landgendarmen Simon Polt spielen, hier wurden sie auch kongenial verfilmt. Die etwas rauhe und mystische Gegend hat es nicht leicht, sich zu behupten, umso mehr legen sich die Gastgeber ins Zeug. Gute Unterkünfte sind um ein Geringes ebenso zu finden wie landestypische sehr ordentliche Küche. Wir essen einen Stiftskarpfen im Zwettler „Wirtshaus im Demutsgraben“ und Mohnnudeln zum Nachtisch oder ebenso traditionell im „Goldenen Lamm“ in Drosendorf. Von hier macht man auch einen Abstecher ins benachbarte Mähren, die Grenzen sind ja gottlob schon lange gefallen.
 
Literaturbegeisterte kommen rund um den Semmering auf den Spuren u.a. Arthur Schnitzlers, Peter Altenbergs, Egon Friedells, Robert Musils, Stefan Zweigs, Heimito von Doderers und FHOs auf ihre Kosten. Da gönnt man sich doch gerne mal den Luxus des Grandhotel Panhans in Semmering oder des Hotel Marienhof in Reichenau, um die gleiche Luft wie diese Großen zu schnuppern. Man speist im Payerbacher Looshaus“ oder im „Gasthof Oberer Eggl“, Prein. Die „Speckbacher Hütte“ in Breitenstein empfiehlt sich als Standquartier für Wanderungen in „Traumlage“. Sie sehen schon, Renate Just steckt an – man kommt beim Lesen in Träumen und beim Schreiben ins Schwärmen. Ich glaube, man muß doch persönlich hin. Das steirische Weinland und den Millstädter See, dem sie gleiche liebevolle Betrachtungen widmet, streifen wir hier nur, weisen auf Alban Berg und Gerhard Roth hin, machen einen weiteren Abstecher ins böhmische Franzensbad und ins Prag Wolfgang Amadeus Mozarts, das Harald Salfellner und Hanns-Josef Ortheil ausführlicher beschrieben haben – und überlassen es Ihnen, liebe Leser, sich nun selbst an diesem wunderhübschen Buch zu delektieren.
 
Aber halt! Jetzt, Leute, kommt für einige Leser beinahe das Beste. Wenn man Renate Justs Buch gelesen hat, braucht man fast nicht mehr zu reisen – es ist, als sei man da gewesen, so intim hat die Autorin Orte und Menschen, Literaturen und Hintergründe vermittelt. Die „Krummen Touren“ können von einem dreifachen Effekt zehren: denen einen Wegweiser zu sein, die das Gelesene durch eigenes Erleben vertiefen möchten, anderen zur Vor- und Nachbereitung einer Kulturreise Literatur- und reichlich andere Tips an die Hand zu geben und (siehe oben) solchen, die gerne im eigenen Ohrensessel reisen und es vorziehen, im eigenen Bett zu schlafen, die Mühen der Wege abzunehmen. Auf das gerühmte Sulmtaler Rosmarinhendl und die Topfen-Poganzen vom Koschak-Wirt in Heimschuh müssen jene allerdings verzichten.

Renate Just ist eine Anstifterin. Man muß sie anhalten, in ihrem Tun fortzufahren.
Beispielbild


Renate Just
Krumme Touren 4

Ausflüge zu den Nachbarn Österreich und Böhmen

© 2009 Verlag Antje Kunstmann

240 Seiten, flexible Klappenbroschur
mit vielen s/w-Illustrationen und Index
19,90 €

Weitere Informationen unter:
www.kunstmann.de