Lesesommer 2009 (1)

Literaturempfehlungen für die Reise

von Frank Becker und Robert Sernatini

Foto © Frank Becker
Mitten im Lesesommer
heute: Reiseliteratur

Die einen sind eben aus den Ferien zurück, haben am Strand und auf der Berghütte alles ausgeschmökert, was sie mitgenommen haben, die anderen packen grade die Koffer und überlegen, was sie als Lektüre mitnehmen sollen - und wieder andere machen Urlaub auf Balkonien (beinahe die schönste Variante). Auch die fragen sich, nachdem die ersten Krimis verschlungen und weitergeschenkt sind, was nun neben der Teekanne oder der kühlen Flasche Vinho Verde unter dem Sonnenschirm auf dem Lesetisch liegen soll. Da helfen wir doch gerne mit ein paar Tips und Empfehlungen aus.

Wer noch eine Reise vorhat und sich vielleicht zuvor und unterwegs ein wenig über Land und Leute informieren möchte, über Kultur und Eigenarten des gewählten Ziels, ist gut beraten, bei der großen Auswahl an Reiseführern, Sachbüchern und unterhaltender Reiseliteratur zuzugreifen.
 

Swantje Strieder und Teja Fiedler sind ein weitgereistes und welterfahrenes Paar, Journalisten zumal, die beruflich und privat die Welt gesehen haben. Was ein guter Journalist ist, notiert sich natürlich unterwegs nicht nur die vorgezeigten Tempel, Paläste und Museen, er schreibt auch auf, was am Wegesrand zu essen angeboten wird, welche Musik man eventuell ertragen muß, wie Hotelzimmer ausgestattet sind, was im fremden Lande kreucht und fleucht und auf welche Verkehrsmittel man sich weit von zu Hause verlassen muß. Das haben die beiden getan und das beruhigende, ultimative Buch über Reisen, Pech und Pannen verfaßt: "No Problem!". Da gibt es Kapitelüberschriften, die kaum einen Kommentar benötigen: "Der Taxifahrer, den ich immer schon ermorden wollte" (wer hätte diesen Wunsch nicht auch schon tief in seinem Herzen verborgen?), "Mann allein - wo ist hier denn was los?" (Hotelbar-Erlebnisse unbd ähnliche Enttäuschungen), "Fliegen I-III" (mit allen unangenehmen Begleiterschinungen in Form von Sitznachbarn) oder "Guten Appetit!" (Sie ahnen schon, daß dem Reisenden von Fall zu Fall der Appetit verging). Das haben die beiden Autoren alles sehr anschaulich und unterhaltsam beschrieben, zugleich aus ihren Erlebnissen ein informatives Kompendium vermeidbarer Fehler gemacht. Sollte man lesen, wenn man sich auf Reisen in exotische Länder begibt. Aber auch der Rom- oder Amsterdam-Reisende kann noch viel lernen. Lohnend und empfehlenswert! (bec)
Swantje Strieder/Teja Fiedler - "No Problem!" - Reisen, Pech und Pannen, © 2008 Piper/Malik, 249 Seiten, geb. m. Schutzumschlag, Lesebändchen, Glossar, 16,90 €

Arabien umweht noch heute der Hauch des Abenteuers und des Märchens. Arabien, das sind
 
Tausendundeine Nacht, Ali Baba, der Dschinn (oder die süße Variante Jeannie) und Scheherezade. Es kann aber auch der Alltag in einer kulturreichen wie verwirrenden Welt zwischen Kairo und Bagdad sein. Karim El-Gawhary ist Nahost-Korrespondent des ORF, Sohn einer deutsch-ägyptischen Familie und seit 17 Jahren im Nahen Osten für diverse Zeitungen tätig. Ein Insider durch seine bikulturelle Erziehung und Sprachausbildung, seinen ägyptischen Namen und das Studium der Islamistik. Er hat seine Erfahrungen der letzten 15 Jahre in den Ländern, die uns seit fast 40 Jahren überwiegend durch Meldungen über Krieg, Elend, Armut, Dogmatismus und Haß bekannt sind, in dem  lesenswerten Buch "Alltag auf Arabisch" aufgeschrieben. Damit schafft es
Karim El-Gawhary, dem Leser ein ganz anderes Bild der arabischen Welt zu vermitteln. Die Konflikte spart er nicht aus, zeichnet aber mit spitzer Feder ebenso auf, was wir durch die üblichen Fernseh-Nachrichten nicht erfahrten: den Golfstaaten-Tourismus nach Kairo und die damit verbundene Prostitution und die islamische Bigotterie, die Unterdrückung der iranischen Ralley-Fahrerin Laleh Saddigh durch das Regime des Mahmud Ahmedinedschad, das Abenteur des Autofahrens in arabischen Ländern, die Wichtigkeit des Fußballspiels und die Gier arabischer Männer nach dem westlichen Potenzmittel Viagra. Ein seltener, kundiger und überwiegend humorvoller Blick auf unsere Nachbarn im Orient. (bec)
Karim El-Gawhary - "Alltag auf Arabisch", © 2008 Kremayr & Scheriau, 222 Seiten, geb. m. Schutzumschlag, 19,90 €

Nach Rumänien führt der reich bebilderte "Reisebegleiter in die fremde Nähe" von Walter M. Weiss: "Nachbarn entdecken - Rumänien". Moldau, Siebenbürgen, Banat, Bukarest, Walachei, Bukowina -
 
Schlagworte, die man zu kennen glaubt, über die man aber tatsächlich nur wenig wirklich weiß. Walter M. Weiss nimmt uns an der Hand und zeigt uns das Land am Schwarzen Meer, das als direkte Grenznachbarn die Ukraine, Moldawien, Ungarn, Serbien und Bulgarien hat. Nach der grauenhaften kommunistischen Diktatur unter dem heute von Unbelehrbaren schon wieder verklärten
Nicolae Ceaușescu, einem legitimen Nachfolger von Vlad III., hat das wunderbare Land begonnen, sich zu entwickeln und sich dem Ausland als Reiseziel zu präsentieren. Schaut man sich die vielen Bilder in dem schönen Band an, unternimmt man mit dem Autor die (Zeit-)Reise, die zu den phantastischen Architekturen, archäologischen Fundstätten, den noch nahezu unberührten Landschaften und den Kunstschätzen, die Rumänien birgt, wird deutlich, was dieses unterschätzte Land an Schönheit und Kultur zu bieten hat. Wußten Sie, daß der deutsche Raumfahrtpionier Hermann Oberth aus Siebenbürgen stammt, daß das Donaudelta bei Tulcea das zweitgrößte Flußdelta des Kontinents ist und die weltweit größte zusammenhängende Schilffläche hat und daß viele der Moldau-Klöster zum Weltkulturerbe zählen? Es gibt also Gründe genug, Rumänien zu besuchen. Mitnehmen sollte man auf jeden Fall dieses Buch:
Walter M. Weiss - "Nachbarn entdecken - Rumänien", © 2007 Kremayr & Scheriau/Orac, 191 Seiten, flexible Klappenbroschur, umfangreich bebildert und mit Registern versehen, 19,90 €
(Der Autor hat auch ähnliche Bände über Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien und Kroatien verfaßt. bec)

Italien mal anders. Der Wagenbach Verlag, dessen itaienische Literaturen in den Musenblättern  gelegentlich vorgestellt werden, hat einen Band mit "Episoden aus dem Alltag der Italiener" des 1937
geborenen Gianni Celati vorgelegt, der auf seine Art vielleicht mehr über Italien und die Italiener erzählt, als das ein Reiseführer vermag. Nehmen wir das Buch mit dem Titel "Was für ein Leben!" als einen literarischen Cicerone, der aus der autobiographischen Erinnerung eines zeitgenössischen Ich-Erzählers sehr intim in das Leben der kleinen Leute einführt. Und die sogenannten kleinen Leute sind es doch, die den Charakter einer Nation ausmachen, finden Sie nicht? Die prall erzählten Geschichten von Schulfreundschaften, eigenartigen und eigenwilligen Charakteren, von Illusionen und der Liebe (wobei das oft genug aufs gleiche herauskommt), von Lebensplänen und Tod sind von einer ungeheuren Dichte. Man steigt während der Lektüre gerne in das Leben dieser Menschen ein, die einem Filmdrehbuch alle Ehre erweisen würden. Gianni Celatis liebenswerte, tragikomische, dramatische und blutvolle Texte von hohem literarischen  Rang wurden angemessen von Marianne Schneider ins Deutsche übertragen. Wer Italien und den Italienern näher kommen möchte, sollte dieses Buch lesen. (ros)
Gianni Celati - "Was für ein Leben! - Episoden ausdem Alltag der Italiener", © 2008 Wagenbach Verlag, 172 Seiten, geb. m. Schutzumschlag, 19,90 €

Redaktion: Frank Becker