"Ich wäre nichts, wenn ich bliebe, was ich bin"

Goethes Trauerspiel "Clavigo" im Kölner "Theater Der Keller"

von Frank Becker

 
"Ich wäre nichts, wenn ich bliebe, was ich bin."

Goethes "Clavigo" als Kammerspiel im Kölner  "Theater Der Keller"


Inszenierung: Inka Neubert - Ausstattung: Thomas Lorenz-Herting - Schneiderei, Requisite: Kora Ott - Technische Leitung: Horst Höverkamp - Assistenz: Theresa Nisters - Hospitanz: Sandra Pozimski
Clavigo: Ingo Heise - Carlos: Jo Schmitt - Beaumarchais: Thomas Georgiadis - Marie: Marion Fuhs - Sophie: Lisa Sophie Kusz - Guilbert: Jens Ulrich Seffen


Selig, wer sich vor der Welt ohne Haß verschließt...


Mit der Schubert-Vertonung des Goetheschen Gedichtes "An den Mond", das der Olympier um 1777 geschrieben hat, also drei Jahre nach dem "Clavigo", und mit dem synoptischen Nebeneinander zweier Szenen läßt Inka Neubert ihre intime Deutung des Trauerspiels um einen Tod wegen gebrochenen Herzens beginnen. Auf sehr kleiner, schräger und halbrunder Ebene bleibt den Figuren nur wenig Raum zur Aktion. Dennoch schafft Neubert es, Bewegung zu inszenieren.
Während Marie durchscheinend und zerbrechlich wirkend in zorniger Verzweiflung ein Foto zerreißt
(die Daguerrotypie kam erst 1839 auf), sie hat Clavigos Trennungsbrief bereits erhalten, sprechen der von Spaniens König begünstigte Schönling und sein verschworener Freund Carlos über den zu erwartenden Erfolg von Clavigos Wochenschrift. Der eitle Clavigo folgt nur zu bereitwillig dem Rat Carlos´, sich zum Gelingen weiteren gesellschaftlichen Aufstiegs von der unattraktiven und hinderlichen Marie zu trennen, an die er sich einst nur wegen finanzieller Vorteile gebunden hatte.  Clavigo rechtfertigt seine Haltung: "Ich wäre nichts, wenn ich bliebe, was ich bin". Ingo Heise gibt ihm smarte, wankelmütige, aber auch scheinbar gedankenvolle Gestalt, ein vielschichtiges Porträt.

Lebemann mit Qualitäten einer Figur Wildes


Carlos hingegen ist ein  Lebemann mit
soliden unmoralischen Grundsätzen, dem Jo Schmitt alle Qualitäten einer zynischen Figur Oscar Wildes verleiht. Eine Formulierung Friedrich Lufts benutzend möchte man sagen: "Gegeben wurde Carlos, Clavigo war nur Nebensache". In der Tat ist Schmitts süffisant-intrigante Darstellung, gipfelnd im Monolog zu Beginn des 2. Aktes, eine Delikatesse.  Inka Neubert hat vor allem die Männer-Rollen trefflich besetzt, aus Clavigo ein larmoyantes Weichei gemacht, einer der seine Felle wegschwimmen sieht und alles tut, um das zu verhindern, einen, der sich viel vormacht und es dabei schafft auch anderen etwas vorzugaukeln. Er zerfließt vor Selbstmitleid, während er für das Leiden der zu Tode enttäuschten Marie keinerlei wahres Gefühl zeigt. Ein selbstsüchtiger, leichtfertiger Lügenbold eben, der mit einem (nicht seinem) Herzen spielt, bis es zerbricht. Leider läßt Neubert Marion Fuhs ihre Marie einen Tic zu hysterisch anlegen. Die polternden Wutausbrüche stehen in zu starkem Kontrast zu dem fragilen Charakter und der Demut, auch symbolisiert durch ihre Barfüßigkeit, die Marie ansonsten zeigt.

Der Stahl der Lüge


Neben Schmitts Monolog zu Beginn des 2. Aktes gehören der Monolog Beaumarchais´ (hervorragend in konsequenter Haltung: Thomas Georgiadis) und sein geschliffener Erpressungs-Dialog mit Clavigo zu den Höhepunkten der trotz der teils unerträglichen Musikeinspielungen (wieso muß Clavigo sich z.B. als HipHopper entblöden?) sehenswerten Aufführung. Die im Großen und Ganzen stringente Linie der Charaktere - sehr gut auch Jens Ulrich Seffen als klarsichtiger Guilbert - überzeugt. Das Nebeneinander von Szenen auf der winzigen Bühne wird, wenn es auch im Moment Verwirrung erzeugt, als elegantes, schlüssiges Stilmittel genutzt. Als der Stahl der Lüge Clavigos schließlich Marie getötet hat und Clavigo von Beaumarchais´ Hand stirbt, läßt Inka Neubert Guilbert als einzigen des eingefrorenen Schlußbildes im Licht stehen.

Die nächsten Vorstellungen
von "Clavigo": 17., 18. und 19.4., jeweils 20.00 Uhr

Weitere Informationen unter:  www.theater-der-keller.de