Turner - Ein liebevoller Blick zurück

Der ATV 1860 Wuppertal-Elberfeld

von Karl Otto Mühl
Turner - Blick zurück
Turner im ATV 1860
 

Ich denke immer wieder, wie auffallend es ist, daß der Sport starke Persönlichkeiten hervorbringt – schließlich bewegen sie doch nur ihre Glieder, oder sie laufen pfeilgeschwind in einer Bahn, aber sonst? Oder, waren sie es schon vorher, und er  der Sport, rückt sie ins Blickfeld?
 
Sport ist nicht nur nahe bei der Kultur, nein, er ist Kultur, weil er Gestaltung ist. Und darum wird er ernst genommen, sonst wäre er Spielerei. Er ist auch darum durch schweißtreibende Mühe allein nicht zu ersetzen, weil er durch Rhythmus und das Schwingen zwischen höchster Konzentration und Entspannung in den dynamischen Prozeß des Lebens eingeht.
 
Nach so viel Gutem über den Sport zu den Persönlichkeiten, um derentwillen ich dies niederschreibe. Zwei haben den Vereinssport in unserer  Stadt während der Nachkriegsjahre geprägt, Hans Lieb und Helmut Kommans. Ich behaupte, genau das, was ich oben beschreibe, war ihnen gegenwärtig, auch, wenn sie es nicht so definiert hätten. Aber beide wußten, daß ihre Arbeit für den Sport eine wichtige Aufgabe war, für die zu leben es sich lohnte.
 
Und sie haben wahrhaftig dafür gelebt. Keine wichtige Veranstaltung, bei der sie nicht waren, keine Aufgabe, die sie nicht erkannten, nicht betrieben. Man braucht nur an Turnhalle an der Gathe erinnern, die Krönung des Lebenswerkes von Hans Lieb. Der kluge Hans, der treue Helmut, fast alle von uns Überlebenden haben sie noch gekannt.
 
Sie waren beide klug und geschickt, und – sie hatten auch einen Zug von Biederkeit. Ein anrüchiges Wort, nicht wahr, aber ohne einen Zug von Biederkeit kann ich mir einen Verein nicht vorstellen. Einem Banker mag vertrauen wer will, aber einem Turner kann man einfach nicht mißtrauen. Ein Turner spürt gegen niemanden Haß. Wenigstens sehen die meisten so aus. Ich wußte nicht, was sich 1938, als ich dem Verein beitrat,  in unserem Land abspielte, aber im Verein selbst erinnere ich mich nicht an politische Agitation. Beide, Hans und Helmut, mochten uns und wir mochten sie. Sie haben uns lange das Gefühl gegeben, daß es sich auf dieser Welt ganz gut leben läßt, allerdings nur, wenn nicht gerade etwas Schlimmes passiert.
 
Andere werden deutlicher beschreiben können, was beide in unserem Verein und für den Sport in unserer Stadt angestoßen, angeregt, organisiert und geleistet haben. Ich selbst will hier nur meine Anhänglichkeit gegenüber beiden ausdrücken.
 
Zugleich mit ihnen erscheinen vor meinem Blick die anderen Gestalten aus der Vergangenheit, sogar aus der Vorkriegszeit: Paul Simon, Erich Kling, Willi Lindermann, Artur Lucas, Alfred Coeler, Fritz Wippermann – ach der! So einen klaren, offenen und aufrichtigen Menschen  habe ich selten getroffen. Mir fällt seine treue Zugewandtheit zu seiner kranken Schwester ein, die Tapferkeit, mit der er seine Herzkrankheit trug, und etwas ganz weit Zurückliegendes: Er half mir vor 75 Jahren bei den Hausaufgaben. Er saß im Werksbüro der Omnibus-Betriebe, bei denen mein Vater Werkmeister war. Ich wünsche mir, ich hätte seine Geduld geerbt, die nimmermüde Geduld, mit der er mir zuhörte. Er war ein liebesfähiger Mensch. Wer ihn wie ich kannte, wird ihn niemals vergessen.
 
Wegen solcher Menschen allein hat es sich gelohnt, den Verein vor 150 Jahren zu gründen.
 
Karl Otto Mühl