Über Glücksspieler und Spielerglück

Michael Kohtes - "Va Banque"

von Jörg Aufenanger
Va Banque
 
„Rien ne va plus“, nichts geht mehr, heißt es in der Finanzwelt seit jenem Septembertag des Jahres 2008, als die Lehmann Brothers Bank zusammenbrach und damit die Illusion, das System der Hedgefonds verspreche Gewinn in alle Ewigkeiten. Mit dem vom Croupier, wenn alle Einsätze getätigt sind, geflüsterten „Rien ne va plus“ beendet auch Michael Kohtes sein Buch „Va banque“, in dem er von Glücksspielern und Spielerglück erzählt.
Immer wieder wurde seit der Finanzkrise die Banken- und Börsenwelt mit dem Spielcasino verglichen. Falsch! Einen entscheidenden Unterschied konstatiert Kohtes nämlich zwischen den Glücksspielern am Roulettetisch und denen an der Börse. Die einen setzen das eigene Vermögen aufs Spiel, die Banker riskieren ihnen anvertrautes Geld, und ruinieren sich nicht selbst, sondern andere.
 
Während die angestellten Zocker in den Towers der Banken fremdes Kapital auf ihren Laptops cool ins Spiel bringen, war und ist das Spiel an den Glückstischen der Casinos emphatische Kunst. Riten, Zeremonien und ausgeklügelte Reglements leiten es, immer noch gelten Kleiderordnungen, Flüstern und Raunen sind geboten, Schreien wie an der Börse ist verpönt. Man gehe ins Casino wie in die Oper, stets im Bewußtsein, hier sei das Übernatürliche mit der Imagination vereint, schreibt Kohtes, und so sei das Casino zugleich Tempel und großes Theater, Bühne und heiliger Bezirk. Wer diesen Tempel betrete, gewinne das Glücksgefühl, von allen Gewißheiten Abschied zu nehmen, ahnt der wahre Spieler doch, seine Glückssuche führt auf Dauer ins Fiasko, ist eine Allegorie auf den Geist der Vergeblichkeit. Dieser wahre Spieler, so der Autor in einem seiner vielen gewitzten, espritreichen Apercus, möchte nach seinem Tod nicht in den Himmel kommen, sondern ins Casino, war es für ihn doch schon der Himmel auf Erden. Ein Ort außerhalb der realen Welt, an den er das geerbte oder erarbeitete reale Geld mitbringt, das sogleich in Spielgeld eingetauscht wird, was das Draußen vergessen läßt.
 
Das elegant geschriebene Essay zu den „Fatalisten des Zufalls“ erzählt kenntnisreich natürlich auch die Kulturgeschichte des Glücksspiels. Seine eigentliche Heimat war das französische 18. Jahrhundert in den Dekaden vor der Revolution, als der Adel dem Untergang entgegentaumelte und er die „Qualen des Ennui“ im Spiel vergessen, das Leben nicht meistern, sondern noch mal schmecken wollte. Private Salons des Hasard blühten allerorten auf, betrieben von Banquiers aus niederem Adel, die Profit aus der Lust am Untergang schlugen.
Daß Casanova damals nicht nur das Spiel mit Frauen, sondern auch mit Geld schätzte, wissen wir. Aber auch, daß der besonnene christliche Denker Blaise Pascal schon hundert Jahre zuvor die Zufallsmaschine, das Roulette, erfunden hat? Ebenso erstaunt, daß Lessing, unser tugendhafter, Dichter und Denker der Aufklärung, dem Spieltrieb derart verfallen war, daß er sich zu der Erklärung genötigt sah: „Das leidenschaftliche Spiel bringt die Säfte in Umlauf, es befreit mich von einer körperlichen Angst, die ich zuweilen leide.“
 
Gründe oder Ausflüchte, die das Spiel am Glücktisch rechtfertigen sollen, gibt es viele. Sie analysieren zu wollen, entreißt ihm den Zauber, wenn etwa Sigmund Freud meint, dem Spieltrieb lägen unbewußte Schuldgefühle zu Grunde und er ersetze den pubertären Onaniezwang. Wie dem auch sei, der souveräne Spieler in den Casinos der Welt ist ein Widerspenstiger, der der utilitaristischen Moderne entgeht und nichts wissen will von Gewinn und Verlust in der realen Finanzwelt.
Schon einmal versuchte diese das reale Casino zu ersetzen. Nach der Revolution von 1830 verbot der Bürgerkönig Louis-Philippe das Glücksspiel am Roulette, woraufhin Jacques Bénazet und die Gebrüder Blanc auswanderten und die Spielbanken von Baden-Baden und Bad Homburg übernahmen. In Paris galt nur noch das Motto „Enrichissez-vous“ - Bereichert Euch. Die Spekulation an der Börse ersetzte den Spieltisch, was lange gut ging, bis die „Blase“ platzte und Finanzjongleure und Gutgläubige ins Verderben stürzte.
Dagegen ist doch der Spieler in den außerirdischen Gefilden des Casinos ein Glückspilz, denn selbst wenn er verliert, da er das ja von Anbeginn voraussieht, gewinnt er Lust.

Dieser Artikel erschien zuerst in der "Berliner Zeitung"
Redaktion: Frank Becker
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Michael Kohtes
Va Banque
 
Über Glücksspieler und
Spielerglück
 
Transit Verlag Berlin
 
110 S. mit Abbildungen
14,80 
 
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