Das Tal der Unstrut
Anmutiger kann ein Ort kaum sein und poetischer sein Name auch nicht:
„Blütengrund“. Hier fließt die Unstrut in die Saale, und der Dichter Christian Fürchtegott Gellert faßte es in Verse: „Hügel an dem flachen Tale/wo die Unstrut mit der Saale/sich vertraut zusammenschloß.“ Im Scheitelpunkt der Vereinigung wacht eine Pappel, die sich im Wasser spiegelt, über diese Vertrautheit. Eine 1283 erstmals erwähnte Fähre quert die Flüsse, die mit der Technik des Gierens nur die Energie des Wasserstroms nutzt. Zwei Handelswege, die König- und die Bernsteinstraße kreuzten sich einst hier. Heute stehen wir hier.
Am frühen Morgen waren wir mit dem Fahrrad im nahen Naumburg aufgebrochen und bewundern nun die Idylle, genießen in einem Gartenlokal einen ersten Schoppen des Unstrutweins, der an diesem Sonneck gewachsen ist und der wie Gellert meinte „Mund und Herz ergötzt“.
Zisterziensermönche des nahen Klosters Pforta hatten vor gut 800 Jahren mit dem Weinbau begonnen. Obwohl als Schulpforta seit langem eine renommierte Schule, auf die einst Klopstock, Fichte und Nietzsche gingen, unterhält man immer noch ein Weingut, in dem hochwertige Tropfen zu verkosten und erwerben sind.
Wir schwingen uns auf das Fahrrad, haben es, um den Fluß zu erkunden, einem Kanu, einem Faltboot oder dem Dampfer „Unstrutnixe“ vorgezogen, gelangen in wenigen Minuten nach Großjena zum „Steinernen Bilderbuch“. Ein 300 Jahre altes und 150 Meter langes Bildrelief erzählt biblische Geschichten vom Wein und den Menschen, von der Hochzeit von Kanaa etwa, der wunderbaren Verwandlung von Wasser zu Wein, von Lot und seiner Tochter beim Weingenuß. Unweit hat der Maler Max Klinger gewohnt, der aus seinem Radierhäuschen weit in das Unstruttal hineinschauen konnte. Diesem folgen wir auf einem gut hergerichteten Radweg, sehen an der Sonnenseite einen Weinberg nach dem anderen mit Treppen, Trockenmauern und den Weinberghäuschen, erreichen den als barocken Weingarten 1774 angelegten herzoglichen Weinberg, wo wir uns die Arbeit des Winzers an einem Steillagenweinberg erklären lassen.
Hoch über der Unstrut und der Stadt Freyburg thront Schloß Neuenburg. 1090 durch Ludwig den Springer erbaut, wurde es unter den Ludowingern Zentrum mittelalterlicher Höfischer Kultur und Lebensfreude und gilt als Schwesternburg der Wartburg. Kaiser Barbarossa und Elisabeth von Thüringen waren hier zu Gast. Wir steigen hinan zu dieser mächtigsten Burg der Region, entdecken die romanischen Ringmauern, runde Burgtürme, treten ein in eine Doppelkapelle mit einer halbrunden Apsis, ein rares steinernes Zeugnis einer Zeit, als jede weltliche Herrschaft mit dem christlichen Glauben legitimiert werden mußte. Gast des Pfalzgrafen von Thüringen war auch der Dichter Heinrich von Veldeke. Er verfaßte auf der Burg seinen Äneasversroman, der von prunkvollen Hoffesten erzählt, die wir uns in diesem Schloßambiente lebhaft vor Augen führen können.
Das Weinmuseum inmitten der Burg dokumentiert das enge Verhältnis von Religion, Brauchtum und Wein, stellt prunkvolle Abendmahlkelche aus, eine Traubenmadonna, schlank und rank wie eine Rebe, dann Christus als wahren Weinstock und in St. Kilian den Schutzheiligen der Weinbauern. Trinksegen halfen gegen teuflische Niedertracht und Krankheit, Brautpaaren wurde der an Johannes geweihte Wein eingeflößt, damit sie bei Kräften blieben. Ist man an barocken Weinputten, Klingelzügen mit Weinornamentik, steinernen Bacchusköpfen vorbei gezogen und hat auch die älteste erhaltene Flasche Unstrutweins von 1687 bestaunt, dann treibt uns der Durst in die Schenke, und wir entdecken auf den Tischen manch heiteres Gedicht zum Wein aber auch Lasterdarstellungen zur Trunksucht. Wir indes trinken mäßig, wollen noch zur Rotkäppchensektkellerei, steigen in die Stadt hinunter, unternehmen einen Rundgang entlang der 500 Jahre alten Stadtmauer, werfen einen Blick in die romanische Marienkirche, dann einen auf das Denkmal für den hier geborenen Turnvater Jahn, doch Rotkäppchen zieht uns mehr an. Seit 1856 wurde in Freyburg Sekt hergestellt, aber erst 40 Jahre später „Rotkäppchen“ getauft. Nach einigen schweren Zeiten für das Luxusgetränk ist die Firma inzwischen zum wohl erfolgreichsten Unternehmen des Ostens geworden. All das erklärt man uns bei einer Führung mit Verkostung im Lichthof der Kellerei.
Wir aber wollen zurück zu unserer Unstrut, radeln flußaufwärts, sind betört vom Charme der Flußlandschaft. Aue an Aue reiht sich aneinander, in zarten Biegungen folgen wir der nicht eingedämmten naturbelassenen Unstrut, winken Paddlern zu, verweilen da und dort am Ufer unter Bäumen, raffen uns doch wieder auf, obwohl wir hier gern faul liegen bleiben und bis ans Ende der Tage den Blick in das ruhig dahinfließende Wasser genießen würden. Dorf an Dorf durchradeln wir, schließlich steht uns erneut eine feste Burg vor Augen, Burgscheidungen. Seit über 3000 Jahren soll der Flecken über dem Fluß besiedelt sein, Heinrich I. hat die heute sichtbare Burg um 800 erbauen lassen, Heinrich III. schenkte sie seiner Frau Agnes von Poulon als Morgengabe. Wir steigen den Berg hoch, gelangen durch dicke Mauern und ein Tor auf den Schloßplatz, blicken über die Brüstung weit ins Tal hinein, nehmen dann erstaunt die angrenzenden barocken Bauten wahr. Der Sachsenkönig August der Starke, inzwischen Herrscher über die Region, hat sie errichten lassen und das Burgschloß Anna Constantina Cosel, einer seiner zahlreichen Maitressen, verehrt. Der Tragödiendichter Christian Felix Weiße weilte hier und schrieb seine hochdramatischen Schauspiele, ein Paradox angesichts der friedlichen Unstrut.
Zum Tal hin geht das Schloß über in einen weitläufigen paradiesischen Park. Wir gehen mit und steuern die letzte Station unser Flußreise an, Memleben. Es war einst das Zentrum höfischen Lebens, stand doch hier seit Heinrich I. die Kaiserpfalz, von der nur noch Reste wie das Kaisertor zeugen. Hier hat Otto III. das Recht verbrieft, Wein anzubauen. Die prächtige Urkunde haben wir schon im Weinmuseum gesehen, ausgestellt in Rom, was daran erinnert, daß das deutsche Reich damals von Rom aus regiert wurde, während die Kaiserpfalz von Memleben, einst Mimelebo, eine Oase der Erholung für die deutschen Kaiser war. Otto der Große hat dann zusammen mit Kaiserin Theophanou den Grundstein für ein Benediktinerkloster gelegt, das Memleben zum geistlichen Zentrum Mitteldeutschlands gemacht hat. Doch nach der Reformation verfielen die Klosterbauten, sodaß nur noch die Krypta komplett erhalten ist. Der Kaisergarten hingegen gibt uns einen Eindruck, wie wohl es sich die Kaiser hier haben ergehen lassen, wie wir es uns heute auch.
Eine Flußreise die Unstrut entlang ist zugleich eine durch das frühe Mittelalter, abseits der Gaukler-Mittelalterspektakel, die allerorts in Mode sind, eine Reise ins Original sozusagen.
An einem einzigen Tag haben wir eine in Deutschland einzigartige Fluß- und Kulturlandschaft kennen gelernt, die unnötigerweise als deutsche Toscana vermarktet wird. Das Unstruttal braucht ebenso wenig wie der köstliche Wein den Vergleich. Es ist einfach es selbst, unvergleichlich.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Berliner Zeitung
© 2009 Jörg Aufenanger
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