Kleine Fluchten

"Wind in den Pappeln" - Eine Inszenierung des Renaissance Theater Berlin als Gastspiel im Theater im Rathaus, Essen

von Frank Becker
Kleine Fluchten

Torsten Fischer inszeniert Gérald Sibleyras´
Tragikomödie "Wind in den Pappeln"


Ein Gastspiel des Renaissance Theater Berlin
im Theater im Rathaus Essen


Regie: Torsten Fischer - Bühne: Vasilis Triantafillopoulos - Kostüme: Katharina Bartel
Besetzung: Harald Dietl (René) - Jürgen Thormann (Gustave) - Jörg Pleva (Fernand)


Einsam und alt geworden

1959, im August. Gustave, Fernand, René - drei Offiziere der französischen Armee im Ruhestand fristen ihre Tage in einer "Anstalt für Kriegsveteranen", irgendwo weitab im Land. Sie bewahren sich ihre durch die nie genannten Kriegserlebnisse angeschlagene Würde, indem sie sich äußerlich pflegen und innerlich einschließen. Nur untereinander entwickeln die drei in ihrer immer kleiner werdenden Welt ein sprödes, dennoch auf distanzierte Art liebevolles Freundschaftsverhältnis. Dazu gehören derbe, mitunter zynisch wirkende Scherze übereinander und das Eingeständnis auch der physischen Auswirkungen des Älterwerdens. Zwar scheinen sie stets zerstritten, doch kann auch keiner ohne den anderen. Schon seit 25 Jahren lebt der pragmatische, auf gewisse Weise handfeste René (Harald Dietl), eigentlich ein Einzelgänger, an diesem stillen Zufluchtsort, seit 10 Jahren Gustave (Jürgen Thormann), der von sich sagt, daß er 75 Jahre alt ist (vielleicht auch etwas älter) und erst seit sechs Monaten der "Benjamin" des Trios, Fernand. Der will seine Post nicht lesen, er gibt sie an den einsamen Gustave weiter, der sie gewissenhaft beantwortet.

Ängste und Sehnsüchte

Jeder von den dreien ist durch irgendeinen Krieg Invalide: René hat ein steifes Bein, Gustave hat schreckliche Angst vor dem, was "draußen" ist, und Fernand trägt einen Granatsplitter im Kopf, der ihm immer häufiger das Bewußtsein raubt. Sie überspielen ihre Gebrechen und Ängste mit Humor und ständigen Wort-Scharmützeln. Doch zum Lachen sind ihre Schicksale nicht, wenn auch Situationskomik und witzige Dialoge für die Atmosphäre einer Komödie sorgen. Was vielen Zuschauern unmittelbar unter die Haut geht, ist die Erkenntnis, Zeuge einer schrecklichen Tragödie zu sein. Wir begegnen nur diesen dreien, die für alle anderen in dem Invalidenheim stehen. Wir erfahren von Todesfällen, von der Angst, vom angestammten Lieblingsplatz auf der Terrasse vertrieben zu werden - und von dem heißen Wunsch "hier weg" zu wollen. Aber wohin? Indochina, das sie noch aus der Militärzeit kennen, ist zu weit. Aber gegenüber dem Heim sieht man auf einem Hügel Pappeln, die sich im Wind wiegen. Dieser Hügel wird zum Ziel der Sehnsucht nach Freiheit.


Jürgen Thormann, Jörg Pleva, Harald Dietl (v.l.) - Foto: Renaissance Theater Berlin


Die Endlichkeit der Träume

Thormann, Dietl und Plewa agieren vornehm und dezent, jedoch nicht ohne wohldosierten Witz in diesem Kammerspiel für drei starke Charaktere. Torsten Fischer hat das für das Renaissance Theater Berlin gefühlvoll in Szene gesetzt. Wir mögen die ganze Zeit über ahnen, daß wir einen der drei schließlich verlieren werden. Fischer hat das Drama so sensibel wie nur möglich und mit großer Liebe gestaltet. Das Ende kommt und läßt den Traum vom Wind in den Pappeln zerstieben. Uns entläßt es mit zarter Trauer um einen, den wir in den zwei Stunden des Stückes liebgewonnen haben.


Das Stück wird in Essen en suite (außer Montag) bis zum 13.11.09 gespielt.

Weitere Informationen unter:  www.theater-im-rathaus.de   und  www.renaissance-theater.de