Paul Pörtner
Wann es genau war, kann ich nicht mehr sagen, aber er steht mir heute noch vor Augen. Ich sah ihn schon von weitem. Er humpelte auf mich zu, den einen Fuß auf dem Bürgersteig der Wuppertaler Luisenstraße, den anderen in der Gosse. Ein Bild, ein letztes von ihm für mich, eins für alle Ewigkeiten. Wie immer ein breites Strahlen in seinem Gesicht. Ich würde es auch Elberfelder Gesicht nennen. Er breitete die Arme aus, als wollte er mich umarmen. Doch er tat es nicht.
Und doch: „Wer ihn kennen gelernt hat, der hat ihn spontan gemocht. Paul Pörtners Herzlichkeit und melancholische Heiterkeit haben ihn für viele zu einem im wirklichen Sinn des Wortes liebenswerten Menschen gemacht“, begann ich damals den Nachruf auf seinen Tod am 16. November 1984 in der Westdeutschen Zeitung.
Wir hatten uns, es mag etwa ein Jahr vor seinem Tod gewesen sein, in jenem Café der Luisenstraße verabredet, in dem Jahre zuvor eine erste Erinnerung an den „Turm“ stattfand, jene legendäre Vereinigung von jungen Künstlern aller Art in den unmittelbaren Kriegsjahren, die er gegründet hatte, in dem „Farblädchen“ der Familie Pörtner in der Markomannenstraße. Eine Euphorie in Kunst, der „Turm“.
Im Juni 1948 folgte die Depression, die Währungsreform. Das neue Geld hatte über die Künste den Sieg davon getragen. Ein jeder ging von da an seinen eigenen Weg: Horst Stein, Tankred Dorst, Fritz Meis, Karl Otto Mühl, Charles Wirths, Harald Leipnitz, Kurt Niederau und so viele mehr, die Pörtner zusammengebracht hatte in einem Traum vom Gesamtkunstwerk zwischen Schriftstellern, Malern, Musikern, Schauspielern. Doch der Traum war ausgeträumt. Nicht völlig, denn Paul Pörtner hegte ihn weiter, und wenn ich nicht irre, war es ausgerechnet im Jahr 1968, als er in Zürich den alten Traum verwirklichen konnte, als er „König Ubu“ von Alfred Jarry in einem Zusammenspiel aller Künste inszenierte. Ein grandioser Mißerfolg beim Publikum und der Kritik. „Merdre“ hätte Jarry gesagt. „Schreiße“. Der hypersensible Paul Pörtner aber litt, wie er immer kurz gelitten hatte, wenn etwas nicht klappte, was er sich in seinen Kunstexperimenten vorgenommen hatte.
Wie aber hatte alles angefangen? Geboren natürlich in Elberfeld. 1925.
Als Botenjunge der Buchhandlung Nethe entdeckte er durch Zufall die Literatur des Expressionismus. Verbotene Literatur. Sie sollte ihn prägen. In der HJ, ja da war er, lernte er zu fotografieren, am liebsten die Mädchen von „Glaube und Schönheit“, und er schrieb. Erste Zeitungsartikel. Er traf auf Karl Otto Mühl, der schreiben wollte, und Fritz Meis, der malen wollte. Heftige Diskussionen über die Künste, oft auf peripatetischen Wanderungen von Elberfeld nach Barmen und zurück, über die Hardt. Mit Blick ins Tal. Reden für die Zukunft, denn die Gegenwart vor 1945 verstellte alle Wege. Dann auch
Aber auch die stille Form hat er geliebt, das Gedicht, unzählige hat er verfaßt. Nicht veröffentlicht sind sie. Sie liegen in einer blauen Mappe im Archiv. Natürlich in Elberfeld.
1978 muß es gewesen sein, er nahm einen Brotberuf an, Hörspieldramaturg. Um seine Rente aufzubessern. Er führte ein gutes Leben in Hamburg. Habe ihn oft dort, wenn ich selbst Hörspiele durch seine Vermittlung gemacht habe, getroffen. Gegen zehn Uhr kam er ins Büro, um zwei Uhr hielt er dort Mittagsschlaf, eifersüchtig bewacht von seiner jungen Sekretärin Nicola Peinemann. Danach, die Sektflasche unterm Schreibtisch versteckt, arbeitete er noch ein wenig, bevor er nach Hause ging. Ach ja, geheiratet hatte er auch, eine junge Malerin. Dann die höhere Rente. Doch genießen konnte er sie kaum noch. Das Herz. Im November vor 25 Jahren ist er gestorben. Sein immenses Werk auch? Oder lebt es bald wieder?
© 2009 Jörg Aufenanger – Erstveröffentlichung in den Musenblättern Redaktion: Frank Becker |