Lohengrin in Dortmund

Ohne Schwan, aber von hohem Rang

von Peter Bilsing
Lohengrin ohne Schwan aber mit
außergewöhnlich außerirdischem Helden
 
2. Premiere am 13. Dezember 2009
 

Inszenierung: Christine Mielitz - Musikalische Leitung: Jac van Steen, Ekhart WycikBühnenbild: Frank Fellmann - Kostüme: Renate Schmitzer - Licht: Franz Peter David - Choreinstudierung: Granville Walker - Dramaturgie: Dr. Klaus Angermann
Besetzung: Heinrich der Vogler: Stephan Klemm - Lohengrin: Marco Jentzsch, Charles Kim - Elsa van Brabant: Susanne Schubert - Friedrich von Telramund: Anton Keremidtchiev - Ortrud, seine Gemahlin: Szilvia Ràlik, Ji Young Michel - Der Heerrufer des Königs: Simon Neal - Vier brabantische Edle: Stephan Boving, Marco Spehar, Bart Driessen, N.N. - Vier Edeldamen: Julia Amos, Martina Schilling, Vera Semieniuk, Maria Hilmes - Herzog Gottfried: Statisterie
Opernchor des Theater Dortmund - Extrachor des Theater Dortmund - Statisterie des Theater Dortmund

Schützer von Brabant in schimmernder Wehr

Großes Musiktheater ist aus Dortmund zu vermelden. Christine Mielitz´ Lohengrin-Ansatz ist ebenso

Beeindruckende Bühnengestaltung (Frank Fellmann) - Foto: Oper Dortmund
intelligent wie überzeugend. Und erinnert an das geniale Konzept von Anselm Weber 2000 im Essener Aalto, der den „Lohengrin“ im Ambiente des kriegszerstörten Sarajewo ansiedelte. Bei Mielitz ist Lohengrin klar als „gottgesandter Mann“, was immer man unter Gott zu verstehen vermag, erkennbar. Er ist nicht von dieser Welt, sondern in Statur und goldmetallenem Anzug einer futuristischen Kampfmaschine, die aus einem Star Wars Spektakel entliehen sein könnte. „Schützer von Brabant“ will er genannt sein, oberster Feldherr in einem kriegsdurchfurchten Land. Nicht nur den internen Erbfolgestreit, sondern auch die Feldzüge gegen alle exterritorialen Feinde soll er gewinnen und damit Frieden ins Land bringen. Ein Heilsbringer der Glückseligkeit, ein Science-Fiction-Obama oder ein neuer Jesus-Ersatz? Und Liebe auch noch…
 
Unerfüllter Menschheitstraum


Lohengrin in schimmernder Wehr (Marco Jentzsch) - Foto: Oper Dortmund
Das kann nicht gut gehen, denn dieser Mann ist für den Kampf kreiert worden; sein rechter Arm geht in ein Schwert über und auch sonst ist seine Rüstung mit allen möglichen raffinierten Spielereien versehen, eine Mischung aus Mensch und Androide – entsprechend träge und maschinenhaft bewegt er sich. Solch martialisches Äußeres läßt für liebende Zweisamkeit oder zärtliches Tete-a-tete erst gar keinen Ansatz zu. Und so ist es nur konsequent, daß er nach der verbotenen Frage stückchenweise zerbröselt. Erst fällt ihm die Kampfhand ab, mittels derer aber Elsa immerhin noch den Attentäter Friedrich ersticht, später hinterläßt er den kompletten Kampfanzug, wenn er ohne großen Pomp verschwindet. Der Versuch, den Himmel auf einer friedlichen Erde zu schaffen, bleibt ein Traum – der ewige Traum der Menschheit bleibt ewig unerfüllt. Die traurige Feststellung, daß jeder Stahl härter ist als Liebe und man nimmer Schwerter zu Pflugscharen umfunktionieren kann ist Realität. Da wird Wagners traurigstes Stück auf einmal erschütternd, fern aller häufig statuarischen Bebilderei, nachvollziehbar. Welch tief unter die Haut gehende Produktion.
 
Ganz großes Musiktheater

Nach der Huldigung der Regie muß auch die Bühnengestaltung von Frank Fellman mehr als gelobt werden. Endlich einmal ein professioneller Bühnenmacher, der uns an der Illusionsmaschinerie, jenem Zauberkasten technischer Tricks für Lichteffekte und bühnenmechanische Schwerelosigkeit herzerfrischend teilhaben läßt. Kein ödes Guckkastenbild oder statuarisches Museumsritual herumstehender Massen und überflüssiger Staffage, nein, Fellmann hat seinen Beruf bei den Großen gelernt. In seiner Biografie finden sich nicht umsonst bedeutende Lehrer-Namen wie Prof. Kapplmüller oder Prof. Max Keller (Salzburg). Auch seine Zeit bei Jürgen Rose in München dürfte von großer Bedeutung gewesen sein. Endlich bewegt sich wieder etwas auf der Bühne! Hat man doch sonst mittlerweile die Überzeugung gewonnen, daß man Oper auch in jeder Fabrik spielen kann.

Marco Jentzsch, Susanne Schubert - Foto: Oper Dortmund
Fellmann beweist nachdrücklich mit seinen tollen Bildern, daß Oper ohne spannungsreiche Bühnenillusionen nur den halben Wert hat und spannendes Musiktheater sich eigentlich mit diesen bühnentechnischen Rafinessen erst so richtig realisiert. Bravo! Hier beweist der Profi – im Gegensatz zur dilettantisch arrangierten jüngst gesehen „lästigen Witwe“ in Düsseldorf – wie man mit Spiegel wirklich zaubern kann.
Wenn zudem bei Kostümen der Name „Renate Schmitzer“ steht, dann ist stets große und überraschende Kreativität, hohe Professionalität und feinsinnige Individualität angesagt. Ein weiterer Juwel im prachtvollen Regieteam. Und ein weiterer Garant für großes Musiktheater.
 
Wagner mal flott und ohne Bombast

Jac van Stehen bringt einen luftigen und flotten Lohengrin, der freigespielt von antikem Bläserbombast modernen heutigen Wagner-Anforderungen in Transparenz und Klarheit, ähnlich wie sein Städte-Nachbar Stefan Soltesz, entspricht. Hier wird Wagner nicht zelebriert, sondern werkadäquat und lebendig musiziert. Selbst ein Thielemann könnte hier lernen, wie viel Inspirations-Spielraum es außerhalb gähnend zelebrierter Wagnergottesdienste noch gibt. Wer so wunderbaren Wagner dirigiert, ist aber sicherlich heutzutage kein Aspirant für mehr Bayreuth. Gut so, sagt der Lokalkritiker, dann brauchen wir hier in NRW auch nicht allzu soweit zu fahren. Also ein dreifach „Hoch“ den Dortmunder Musikern mit ihrem guten Dirigenten.
Chor und Extrachor waren von Granville Walker wie immer bestens, d.h. tonstudioreif, disponiert.
 
Kim - der höllischen Partie gewachsen

Gesungen wurde durch die Bank passabel, wobei nun Charles Kim (nach der Premierenindisposition von Marco Jentzsch) komplett die Partie des Helden übernommen hat. Hat man in letzter Zeit viel über die neuen Wagner-„Wundertenöre“ gehört und gelesen – ich erspare mit hier die Namen, schauen Sie in die Tagespresse der ganzen großen Häuser – so ist Kim endlich wieder ein „Tenor mit Unterleib“, also jemand, der auch die tiefen bis mittleren Lagen dieser höllischen Partie

Marco Jentzsch, Susanne Schubert - Foto: Oper Dortmund
zufriedenstellend auszuloten in der Lage ist. Auch kann er Deutsch - im Gegensatz zum großen Placido! Das war schon eine ordentliche Leistung. Elsa (Susanne Schubert) und Ortrud (Silvia Ralik) deren Charaktere von Christine Mielitz unter neuen Aspekten besonders intensiv ausgearbeitet wurden, zeigten sich von sicherem Timbre und überzeugten durch stilvolle Tragfähigkeit und intelligente, fast filmisch gute, Rollengestaltung (siehe Bilder!). Der großartige Anton Keremidtchiev ist als Friedrich in dieser Rolle Bayreuth-reif. Und auch all den anderen Edlen sei gedankt für diesen großen Wagner-Abend.
 
Daß die zweite von mir besuchte Vorstellung nur zu 2/3 verkauft war, ist und bleibt mir ein schockierendes Rätsel, denn besseren, überzeugenderen und moderneren Wagner in solch professioneller und inspirierend spannender Regie findet der Wagner-Freund zur Zeit nirgends in so einer hohen Gesamtqualität. Das ist ganz großes Musiktheater; wirklich jede noch so weite Anreise wert.

Redaktion: Frank Becker