Landregen
Der Wind ist von Ost auf West umgesprungen. Er hat die Fallrichtung des Landregens bestimmt. Durch die Risse des hölzernen Briefkastens schieben sich Regenschnüre. Sie verpacken die örtlichen Ereignisse in aufgeweichtes Zeitungspapier. Briefe schwimmen davon, Absender ertrinken.
Wir stehen am Fenster. Unsere Gedanken laufen im Regen herum, versuchen zu retten was geht. Es gelingt nicht. Das Wärmegewitter hat sich beruhigt. Die aufgestauten Turbulenzen haben sich entladen, abgekühlt, ergießen sich über den Garten, die Häuser, das Dorf. Das Leben vor der Haustüre hat sich zurückgezogen. Es hat eine Wartehaltung eingenommen. Es beschränkt sich auf die Innenräume. Wir gehen von Raum zu Raum, unsere Bewegungsmöglichkeiten sind begrenzt. Wir werden unruhig, kreisen den Raum ein, Raubvögel auf der Suche nach Beute. Wir sehen aus dem Fenster, Regenschnüre fesseln unseren Blick. Die Turbulenzen im Raum werden unerträglich. Wir drehen die Heizung auf, legen unsere kalten, zitternden Hände an die aufsteigende Wärme. Uns wird schwül. Unsere Stimmung sinkt. Der Raum ist aufgeheizt. Blitzschnell ergreifen wir ein mit Wasser gefülltes Glas, werfen es an die Wand. Die Scherben zucken. Das Wasser spritzt. Der dumpfe Aufprall des Glases hallt noch lange nach. Wir haben uns beruhigt, sehen erneut aus dem Fenster. Die Regenschnüre sind ganz dünn geworden, reißen schon an manchen Stellen. Der Regen hat plötzlich aufgehört. Die Verdunstung und das Leben können wieder beginnen. © Friederike Zelesko – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010 |