Humba Täterä und die Anarchie

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Warum Ernst Neger
ein Anarchist war



101 wäre er vor kurzem geworden, Ernst Neger (1909-1989), der singende Dachdeckermeister aus Mainz. Auch er einer, der immer mißverstanden worden ist, nicht von den Menschen, nein, von den Intellektuellen. Es ist ihm nie darum gegangen, tiefsinnige Lieder zu machen und die Probleme der Welt zu besingen: er hat gute Laune machen wollen, hat ein bißchen vergessen machen wollen und hat gerade dadurch hinter seinen oberflächlichen Zeilen mehr Trost gespendet als viele andere und dadurch auch Tiefsinn gefunden. Denn: mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf das eigene Leben zurückblicken und dabei denselben Schluß zu ziehen wie Ernst Neger, wenn er Heile Heile Gänsje singt – darf man das nur im Karneval so singen oder ist das nicht doch, vielleicht, ein bißchen mehr?
Egal, was der Spiegel darüber schreibt, bzw. mal geschrieben hat?

Ich habe die Fernsehsendung erlebt, in der er sein Humba Täterää vorgestellt hat: das war Anarchie reinsten Wassers. 1964. Die Sitzung läuft im Fernsehen, Ernst Neger kommt und singt sein Humba Täterää und es schlägt wie ein Blitz ein. Der Saal ist nicht mehr zu beruhigen, immer wieder stimmen die Leute das Humba humba humba neu an, Ernst Neger versucht, die Leute zu beruhigen, der Präsident – ich glaube, es war schon Rolf Braun – versucht es auch, alles bleibt erfolglos. Eine Stunde lang singen die Leute humba humba humba täterää, sie sprengen alle Fernsehgesetze, sie wollen alle Fernsehgesetze sprengen, denn das hier ist Fassenacht, ist Karneval, ist Fasteleer und da gibt es keine Gesetze. Diese Lektion hat Ernst Neger den Deutschen gegeben, allein für dies gebührt ihm großer Danke und ein Chapeau!
Wieso ich Ihnen das jetzt erst erzähle? Ganz einfach: Als er Hundert wurde, habe ich ja noch nicht für die Musenblätter geschrieben - und seien Sie mal ehrlich: so ist das doch viel anarchistischer...

Eine schöne Woche und daß sich der Frühling endlich blicken läßt -
wünscht Ihnen

Ihr
Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker