Sensationeller Opernabend

Köln zeigt "La voix humaine" und "Herzog Blaubarts Burg"

von Peter Bilsing

Sensationeller Opernabend
 
"La voix humaine" und "Herzog Blaubarts Burg" in Köln
 Premiere 12. März 2010 - Besuchte Vorstellung 14. März 2010
 
 
"La voix humaine" (Die menschliche Stimme)
Text von Jean Cocteau, Musik von Francis Poulenc
in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

"A kékszakállú herceg vára" (Herzog Blaubarts Burg)
Text von Béla Balázs, Musik von Béla Bartók
in ungarischer Sprache mit deutschen Übertiteln
 
Opernhaus Köln / 19:30 bis 21:45
 
Musikalische Leitung: Oleg Caetani / Inszenierung: Bernd Mottl / Bühne und Kostüme: Friedrich Eggert / Licht: Wolfgang Göbbel / Dramaturgie: Georg Kehren / Fotos: Bernd Uhlig
Besetzung „La Voix humaine“
Die Frau (Nicola Beller Carbone)
Orchester: Gürzenich-Orchester
Besetzung Blaubart:
Herzog Blaubart (Johannes Martin Kränzle) / Judith (Takesha Meshé Kizart)
Orchester: Gürzenich-Orchester

Die Würze der Kürze

 
Francis Poulenc ist dem hiesigen Opernfreund eher durch ein schwerlastiges Werk, wie „Die Dialoge der Karmeliterinnen“ (1957) bekannt, als durch z. B. „L'Histoire de Babar, le petit éléphant“ (1945) - erst kürzlich noch in einer bezaubernden Aufführung in Dortmund zu sehen. Eine Wahnsinnsoper, wörtlich zu nehmen allerdings, die aufgrund der enormen sängerischen Ansprüche höchst selten realisiert wird, ist „La voix humaine“ (1959), basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Jean Cocteau (1930); etwas später inspirierte es Roberto Rossellini zu seinem Film „La voce umana“ mit Anna Magnani in der Hauptrolle.
 
Daß in der Kürze die sprichwörtliche Würze liegt wissen wir längst, nicht nur seit Zemlinskys „Florentinischer Tragödie“. Dört nämlich gibt es in 60 Minuten alles, was große Oper ausmacht (demnächst übrigens auch in Wuppertal). Auch und besonders wird das in Poulencs knapp 50-minütigem Stück deutlich, das den Zuhörer trotz sperriger Musik und manchmal sehr artifiziellem Gesang von der ersten Note an packt und dann in steigernder Spannung nicht mehr losläßt. Aufbauend auf Cocteaus Drama, einem Ein-Personen-Stück über eine vom Geliebten verlassene Frau, entwickelt sich die Dramaturgie alleine in einem letzten Telefongespräch, das von solch ungeheurer musikalischer Spannung ist, daß es eigentlich fast keiner Bühne bedarf.
 
Sängerin und Inszenierung: Atemberaubender Griff in die Vollen

Dennoch hat Regisseur Bernd Mottl szenisch in die Vollen gegriffen. Wir sehen ein kleines Stück realistischen Waldes (Bühne: Friedrich Eggert), wie es besser kaum ausgeleuchtet (Wolfgang

Nicola Beller Carbone - Foto © Bernd Uhlig
Göbbel) sein kann - Realismus, der frappiert. Diese „tragédie lyrique“ paßt perfekt in dieses beinah lyrisch zu nennende Ambiente, in dem sich die Frau ein letztes Refugium eingerichtet hat. Im Handyzeitalter (mit Freisprecheinrichtung) bieten sich dramaturgisch natürlich plötzlich ganz andere Möglichkeiten des Agierens und Singens als bisher gesehen.
 
Was Nicola Beller Carbonne nach gut einjähriger Vorbereitung daraus macht, ist atemberaubend, ist wirklich sensationell. Selten erlebte man eine Sängerin, die sich so perfekt in ein Stück einbringt - es geradezu lebt. Dabei sind die gesanglichen Schwierigkeiten immens, denn die Stimme wird kaum vom Orchester getragen wie bei klassischen Opern, sondern agiert als selbständiger Kontrapart. Im wechselnden Parlando, zwischen teilariösen Ausbrüchen und depressivem nach innen gekehrt sein, übermittelt die Protagonistin alles, was zwischen Gesang und Psyche, Klang und Lebenserfahrung, sowie Hoffnung und Irrationalität tonal realisiert werden kann. La Voix Humaine - als wäre die Partie für sie geschrieben worden. Eine fabelhafte Leistung - ein Traum von ganz großer Künstlerpersönlichkeit an diesem  Ausnahmeabend von besonderem Rang.
 
Ergreifender menschlicher Kosmos in 60 Minuten

Mit „Blaubarts Burg“ von Bartok läßt man eine trefflich passende einstündige Kurzoper anschließen, und auch bei diesem Meisterwerk stelle ich mir immer wieder die Frage: Wie ist es möglich, alle Kernsequenzen des Lebens, alle Dramatik, die sich aus zwischenmenschlichen Beziehungen ergibt,

Johanes Martin Kränzle, Takesha Meshé Kizart - Foto © Bernd Uhlig
so brillant in eine knappe Stunde Musik zu kleiden und damit wiederzuspiegeln, wofür andere Komponisten derer drei oder gar vier brauchen - und es am Ende doch nicht schaffen. „Mild und leise“ endet Wagners „Tristan und Isolde“ nach 4,5 Stunden Musik - einen ähnlich ergreifenden Kosmos haben wir mit Bartok in gut 60 Minuten durchwandert.
 
Das Regieteam frönt weiter klarem Bühnenrealismus. In einem naturalistisch gezeichneten, bürgerlichen Schlafzimmer, welches irgendwie direkt an den Wald von Poulencs Stück anschließen könnte, durchlebt die einsame Judith einen Realtraum. Der Mann ihrer Wünsche und Begierden erscheint in prachtvollem Ornat und öffnet ihr die Seelen(t)räume des Unterbewußten. Dabei bleibt man szenisch aber immer in diesem Schlafzimmer, wo sich Türen und Fenster wie von Geisterhand bewegen, Böden und Decken aufbrechen, wie körperliche Wunden, wo Naturgewalten einbrechen und fremde traumatische Gestalten sichtbar werden. Das ist bühnentechnisch phänomenal gemacht. Und diesmal sind es auch die Kostüme (Friedrich Eggert), die nachhaltig faszinieren. Ein überragend aufgestelltes Gestaltungs-Team, welches sein Handwerk versteht und die Bühne zu genau dem illusionistischen Zauberkasten des Lebens und der Kunst erweckt, für den wir die große Gattung Oper so lieben. Grandios! Traumbilder, die sich einprägen. Ein rundum gelungenes Konzept, dessen überraschender Schluß, natürlich wie bei einem Hitchcock-Krimi, hier nicht verraten wird.
 
Musikalische Weltklasse auch hier

Überragende musikalische Weltklasse auch hier: Johannes Martin Kränzle (Blaubart), Judith (Takesha Meshe Kizart) und als dritter wäre der große Dirigent Oleg Caetanis zu nennen, der es endlich nach Jahren wieder schafft, dem Gürzenich Orchester Klang und Präzision zu entlocken, wie wir ihn jahrzehntelang vermißt haben. Hoffentlich gelingt es, diesen Meisterdirigenten auch länger ans Haus zu binden. Noch ein besonderes Lob für Georg Kehren (Dramaturgie), der nicht nur einen hervorragenden Beitrag fürs Programmheft verfaßt hat, sondern auch mit einem spannenden Einführungsvortrag die Publikumserwartung sachkundig zu schüren verstand. Das erlebt man selten.
Fazit in nur drei Worten: ein gigantisches Opernereignis! Das ist der Weg, das ist die Kunst und so phantasievoll, intelligent und überzeugend muß Oper gestaltet werden, wenn man endlich wieder in die Liga der fünf Spitzenhäuser der deutschen Oper zurückkehren will.


Takesha Meshé Kizart - Foto © Bernd Uhlig
 
P.S.
Daß Intendant Laufenberg wegen der Sanierungsarbeiten und der katastrophalen Planung der Kulturdilettanten an der Kölner Stadtspitze zum Ende der Saison, jetzt wo es endlich wieder aufwärts geht, das Haus für unfaßbare drei Jahre schließen muß, ist nicht nur zum Heulen, sondern ein provinzielles Debakel ohnegleichen. Und das für Arbeiten, die in vergleichbaren Städten mit etwas gutem Willen binnen höchstens einem Jahr erledigt wurden.

Redaktion: Frank Becker