Danzon

Ein Stück von Pina Bausch

von Jürgen Kasten

Foto © Jochen Viehoff
Danzón
Ein Stück von Pina Bausch
 
Der Danzón entwickelte sich aus der französischen Contredanse und gelangte im Zuge der Kolonisierung im 17. Jahrhundert nach Kuba und Mittelamerika. In verschiedenen Ländern hat er unterschiedliche Bedeutungen. Eine z.B. bezeichnet ihn als eine Art „Tanzpalast“. Der von Pina Bausch befindet sich in der bis zu den Brandmauern offenen und leeren schwarzen Bühne. Videoprojektionen verwandeln den Raum mal in einen Wald, einem Strand oder einer Eiswüste, in der weiße Gänse eng gedrängt stehen. Vorgespannte Gazevorhänge lassen die Landschaften plastisch erscheinen. Schemenhaft huschen nackte Tänzer durch den Wald, sich neckisch nachlaufend. Fröhlich kreischend hüpfen sie durch Wellen, aalen sich im Sand. Ein Riesenbaby sitzt in einer Badewanne, umschlingt eine schwarze Stoffgans und schaut staunend auf die Gänseherde. Das Baby (Andrey Berezin) wird während des gesamten Stückes präsent sein. Nur mit einer Windel bekleidet tapst es neugierig krabbelnd durch die Szenen - aber auch stark und zerstörerisch. Gleich zu Beginn tanzen zwei Frauen auf dem Rücken liegend mit schwungvollen Arm- und Beinbewegungen, bis das Baby sie mit Steinen beschwert, die sie zur Unbeweglichkeit verdammen. - Eine andere Tänzerin tritt auf. „Ich bin hier. Sie sind dort“, vermittelt sie dem Publikum. Dann holt sie eine alte Dame aus dem Parkett auf die Bühne. Der ist das peinlich. Das Stehen fällt ihr schwer. Sie  verlangt einen Stuhl. Kichernd schaut sie ins Publikum, in der nun auch die Tänzerin steht. „Wir sind hier. Sie sind dort“, ruft sie der alten Dame zu. Artig knickst diese und geht ab. Es ist Dominique Mercy, der sein komödiantisches Talent genüßlich ausspielt. 
 
Liebesspiele

In einem Lexikon ist nachzulesen, daß die Bewegungen im Danzón ruhig, elegant und ausdrucksstark

Foto © Jochen Viehoff
sind. So sind die zwischen den vielen kleinen Szenen getanzten Soli auch anmutig und überwiegend fröhlich dargeboten. Einige Male brandet Zwischenapplaus auf. Das mit 12 Tänzern und Darstellern verhältnismäßig kleine Ensemble wirkt geschlossen und spielfreudig. Die Frauen sind in der Überzahl, und dieses Mal findet kein Kampf der Geschlechter statt. Die Frauen dominieren in den Spielszenen. Trickreich buhlen sie um die wenigen Männer oder führen dem Publikum mittels Orangen vor, wie man genußvoll küßt. Eine Tänzerin umwickelt ihre Oberschenkel mit Klebeband. Als Fernando Mendoza seine Hand unter ihren Rock schiebt, klebt er fest. Das gewünschte unverbindliche Liebesspiel geht nicht auf. Die ganze Frau muß er nehmen, und ächzend schleppt er sie hinaus. In einer anderen Szene nähern sich die Tänzer den sitzenden Frau kriechend, legen ihnen schmachtend die Köpfe aufs Knie. Erhört werden sie nicht. Aida Vainieri führt einen aufreizenden Tanz mit einer Schlange auf. „Das befreit. Versuchen sie es einmal in der Küche“, ruft sie ins Publikum. Pascal Merighi schnurrt wie ein liebestoller Kater, bespringt eine bereitwillige Gefährtin. Kaum sitzt er auf, pfeift ihn eine andere zu sich hinüber.
 
Mechthild Großmann und Dominique Mercy

Auch Mechthild Großmann hat einige große Auftritte. Wütend ruft sie: „Ich mache alles. Alles!“ - und tritt nach einem Tänzer. Einen anderen würgt sie. Einfache Tanzschritte einer Tänzerin kommentiert sie sarkastisch, um gleich darauf dem Publikum klarzumachen, daß hier keiner entkommt, weil er sich nicht unterhalten fühlt. „Die Türen sind verschlossen. Ich möchte in Ruhe mit ihnen arbeiten“. Dann wieder schreitet sie im Abendkleid erhaben in die Bühnenmitte und rezitiert über eine angekündigte Teesendung nebst der richtigen Zubereitung.
Dominique Mercy, inzwischen einer der künstlerischen Leiter der Compagnie, tanzt sein Solo mit gewohnt geballter Kraft, bevor er in anderer Szene mit langen Eselsohren traurig schauend auf das Publikum zugeht. Wie abwesend winkt er kurz, geht zurück, wieder vor und zurück. Mit seinem Auftreten wendet sich jedesmal die fröhliche, beschwingte Stimmung. „Mach was Schönes mit uns“, ruft ihm eine Tänzerin zu. In langsamer Zeremonie schreitet Mercy imaginäre Gräberreihen ab, über die er Asche verstreut. Eine Tänzerin bewegt sich im Bodensolo durch diese Szene, während Mechthild Großmann sie mit Erde überschüttet.
 
Über allen Gipfeln ist Ruh´

Ein Vorhang senkt sich. Ein Video mit schillernden Schleierschwänzen wird projiziert. Das Publikum schaut gespannt auf die Bühne, denn es folgt der Part, der ursprünglich von Pina Bausch selbst getanzt wurde. Gemessenen Schrittes quert ein junger Mann die Bühne, nimmt seine Position ein und zieht die Zuschauer in seinen Bann. Er trägt die Bausch-typische Kleidung, die weit geschnittene schwarze Hose und bewegt sich in anmutiger Eleganz. Mit Szenenapplaus wird Aleš Čuček

Mechthild Großmann - Foto © Jochen Viehoff
verabschiedet. Ein letztes Mal tritt Mechthild Großmann in die Bühnenmitte und erzählt, wie der 82-jährige Goethe nach langen Jahren noch einmal die alte Jagdhütte besucht, auf deren Holzwand noch immer mit Bleistift gekritzelt steht „Über allen Gipfeln ist Ruh´“.
Ein grandioser Tanzabend endet unter reichem Beifall.
 
Für diesen Mai war ein neues Stück in Wuppertal anvisiert, das nach dem plötzlichen Tod von Pina Bausch im letzten Jahr natürlich nicht mehr realisiert werden konnte. Stattdessen gab es die Wiederaufführung von „Danzón“ (Uraufführung am 13.05.1995) und gibt es vom 20. bis 24.05.2010 die Wiederaufführung von „Viktor“. Danach reist die Compagnie nach Japan, Türkei und Griechenland.


Inszenierung und Choreographie: Pina Bausch - Bühne und Video: Peter Pabst - Kostüme: Marion Cito - Musikalische Mitarbeit: Matthias Burkert - Mitarbeit: Marion Cito, Jan Minarik - Bühnenbildassistenz: Eulàlia Sanchez - Probenleitung Wiederaufführung: Barbara Kaufmann, Dominique Mercy, Robert Sturm
Lieder und Arien von Francesco Cilea, Umberto Giordano und Gustav Mahler. Instrumentalmusik von Henry Purcell, Camille Saint-Saëns. Lieder und Schlager ausMexiko, Argentinien, Griechenland und Portugal. Jazzmusik mit Ben Webster, Billie Holliday und Johnny Hodges. Unterhaltungsmusik aus Amerika und Japan.
Das Ensemble: Regina Advento, Andrey Berezin, Aleš Čuček, Silvia Farias Heredia, Mechthild Großmann, Barbara Kaufmann, Daphnis Kokkinos, Dominique Mercy, Pascal Merighi, Cristiana Morganti, Fernando Suels Mendoza, Aida Vainieri
 
Gesehen am 07.05.2010 im Opernhaus Wuppertal
 
Redaktion: Frank Becker