Plauderstunde

Über den Mainstream

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Plauderstunde

Über den Mainstream


Guten Morgen, liebe Musenblätter-Leser,
an diesem gottvollen Sommertag!
 
Manchmal, und jetzt darf ich ausnahmsweise mal ernst werden, bekomme ich Fragen gestellt, deren Beantwortung nicht leicht fällt und die deshalb Spaß machen. Letztens aus Bayreuth, wo eine Gruppe von Studenten die nächsten Hügelwochen vorbereitet und zwar in Bezug auf die Programmheftgestaltung. Sie stellten mir die Frage: „Ist Mainstream böse?“. Auf diese jeden Kreativen heftigst bewegende Frage habe ich mir erlaubt wie folgt zu antworten:
 
Selbstverständlich ist Mainstream böse und er weiß es auch. Er ist ein Moloch, der alles frißt, was ihm freßbar erscheint. Heute in unvergleichlich höherer Geschwindigkeit als noch vor ein paar Jahren. Wenn ich mal ein Beispiel aus der Woodstock-Generation nennen darf: waren Country Joe McDonald, Jimmy Hendrix oder sogar die Rolling Stones noch im Sommer 1969 mit Vorbilder und Begleiter unserer revolutionären Ideen, mit denen wir gerade gegen den Mainstream kämpften (politisch aber auch kulturell: neben Springer waren die großen Platten-Labels unsere ausgesprochenen Feinde), so war schon 1970 der Kniefall: der Mainstream griff unsere musikalischen Bilder auf und glättete sie für die Massen. Spätestens ab „T-Rex“ war auch der Rhythm `n´ Blues verkauft und das hat weh getan. Heute tut sich der Mainstream bei so einem wie Lachenmann vielleicht noch schwer, aber Stockhausens Hubschrauber-Quartett ist längst zum Event degradiert und auch das tut weh. Wie schnell der Provokation applaudiert wird von denen, die provoziert werden sollten, hat man ja auf dem Hügel am Beispiel Schlingensief gesehen. Da haben mir beide leid getan: Schlingensief und der Hügel!
 
Egal also, welche Kunstform wir anschauen: die Impulse kommen zunächst aus der Avantgarde, dann wird’s festspielreif (oder Biennale-reif, oder Cannes-reif oder oder), weil man dort erwartet, daß man gekonnt, aber konsumierbar provoziert wird, und hat ein Werk diese Hürde genommen, kommt der Mainstream und krallt es sich. Damit ist das Stück, die Kunstrichtung, der Theatertrend etc. normalerweise am Ende seiner natürlichen Lebenserwartung, denn lang bleibt es da nicht drin, dann wirft es der Mainstream in den Lethe, den Fluß des Vergessens. Der Mainstream weiß das und hat ein schlechtes Gewissen, das er grandios kompensiert: mit Geld. Erst wenn ein Werk im Mainstream angekommen ist, wirft es für den Künstler wirklich was ab. Der Mainstream zahlt sich dumm und dusselig, um seine Weste reinzuwaschen, er weiß, daß er Vermittler und Henker in einer Person ist. Wissen Sie noch, wie provokant die ersten Produktionen von der Fura dels Baus waren und wie sie das Theaterleben durcheinander gewirbelt haben? Oder noch vorher das Living Theater? Oder Pina Bausch? Der Mainstream hat sie alle gesehen, hat ihren provokanten Anfängen so heftig applaudiert, bis auch andere geklatscht haben. Dann hat er ihnen die Zähne gezogen: Ja, die Bänke, auf denen die Zuschauer sitzen, mit Kettensägen zerstückeln, wunderbar, aber: geht das auch ein bißchen leiser? Und muß es im Zuschauerraum selbst sein? Das geht doch sicher auch mit ein bißchen mehr contenance, ohne daß es den Sinn der Aussage kastriert, oder?! Und die Produktionen sind teuer und man kann das Geld auch annehmen ohne sich zu prostituieren und es ist ein hohes künstlerisches Gebot, daß die Avantgarde den Mainstream finanziell erleichtern muß, wo es nur geht, für die Kunst, für die Avantgarde, für die Kultur der Menschheit. Es ist eine der fruchtbarsten Katastrophen in der Kulturgeschichte der Menschheit, daß die Avantgarde auf den Mainstream angewiesen ist: er übersetzt die Ideen der Avantgarde für uns alle und auf vieles werden wir erst aufmerksam, wenn es Mode geworden ist. Das dauert manchmal Jahre und Jahrzehnte, wenn ich – nur um mal ein paar Beispiele zu nennen – an Max Ernst, Jean-Luc Godard, Kurt Weill, Marcel Duchamp oder eben Richard Wagner denke. Einiges ist so gewaltig, daß es den Mainstream überlebt (na ja, die Michelangelos und Bachs eben), einiges scheint ihm so unverdaulich, daß es ihm erst gar nicht anheim fällt (halt durch, Janacek!), das meiste wird von ihm gekauft, ausgepreßt und in den Lethe geworfen (dabei hat Hasse wirklich schöne Opern komponiert, oder Martin y Soler oder oder, aber wer führt sie heute noch auf?). Daß aber die Verbreitung einer Idee, eines Werks, eines Stücks nicht ohne Mainstream geht, ist eine der Dynamiken, die zum Paradoxesten gehören, was die Menschheit in kultureller Hinsicht so zu bieten hat. Erst wenn eine Idee im Mainstream angekommen ist, erinnert man sich seiner Ursprünge in der Avantgarde – aber dann ist es meistens zu spät.
 
Nee, so weit wird es mit mir, mit Ihnen und mit den Musenblättern niemals, ich betone NIEMALS kommen. Wir sind für das Original, wir sind für das Schöne, Edle, Gute, wir sind, ach was: einen schönen Sonnentag wünsche ich Ihnen!

Ihr
Konrad Beikircher




© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker