Caraorman: Ceaucescus Erbe

Ein Dorf im rumänischen Donaudelta

von Friederike Hagemeyer

Steinkauz - Foto © Derk Ehlert
Ceaucescus Erbe  - 
Caraorman, ein Dorf
im rumänischen Donaudelta
 
Von Friederike Hagemeyer
 
Durch das Gewirr von Kanälen und Wasserläufen des rumänischen Donaudeltas nähern wir uns dem Dorf Caraorman mit dem Boot. Wir sind auf einer ornithologischen Entdeckungsreise und werden in dem Fischerdorf übernachten. Doch statt der erwarteten niedrigen reetgedeckten Häuser umgeben von Gemüsegärten bietet sich uns ein völlig anderer Anblick. Schon von weitem sehen wir über den flachen ausgedehnten Schilfflächen eine Ansammlung von mehrstöckigen städtischen Wohnblocks und daneben eine Art langgezogenes hohes Gerippe aus Beton und Stahl, wahrhaft kein

Foto © Derk Ehlert
verlockender Anblick.
Nachdem wir im Hafen angelegt haben und unser Gepäck mit einem herbeitelefonierten Personenwagen abtransportiert ist, machen wir uns zu Fuß auf ins Dorf zu unserem Quartier. Der Sandweg führt direkt an den vom Verfall gezeichneten Wohnblocks und dem Stahlskelett vorbei. Jetzt nutzt Mihai Baciu (http://www.chettusia.com/en), unser Guide, die Gelegenheit, um uns die Geschichte dieser Ruinen zu erzählen.
 
Caraorman liegt am Rande einer ausgedehnten Sand- und Dünenlandschaft,  -  heute streng geschützt  -  welche die Donau vor Jahrhunderten durch Ablagerungen schuf. Es muß in den 1980er Jahren gewesen sein, als diese Sandflächen das Augenmerk Nicolae Ceaucescus, des rumänischen Diktators, auf sich zogen. Was war geschehen? Experten hatten herausgefunden, daß sich dieser Sand wirtschaftlich nutzen ließe. Gerüchte wollen noch heute wissen, er enthielte Gold, Silber, Wolfram und sogar Uran - alles Mineralien, die gute Geschäfte versprachen, wenn vielleicht auch nicht auf dem Weltmarkt, so doch mit Sicherheit bei den sozialistischen Bruderländern.

Man schritt zur Tat: zunächst wurde ein breiter, tiefer Kanal für die künftigen Transportschiffe

Foto © Derk Ehlert
ausgehoben, eine große Fabrikhalle mit Förderbändern und Sortierstationen aus dem Boden gestampft und natürlich durften auch die Wohnungen für die Werktätigen nicht fehlen - sechs dreigeschossige Wohnblocks entstanden.
Im September 1989 besuchte der Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Staatspräsident Rumäniens sein neues industrielles Zentrum mitten im Donaudelta. Es wird berichtet, Ceaucescu habe nicht bemerkt, daß die Wohnblocks nicht bewohnt waren - er hatte sicher eine glänzende sozialistische Zukunft für dieses verschlafene Fischernest fest im Blick. Im Januar 1990 sollte die Fabrik die Produktion aufnehmen und natürlich sollte der Diktator den Startknopf drücken.
 
So die Planung  -  doch es kam anders. - Im Herbst 1989 fand auch in Rumänien wie überall im Ostblock eine Revolution statt, am 25. Dezember 1989 wurden Ceaucescu und seine Frau

Wiedehopf - Foto © Derk Ehlert
hingerichtet.
In den Wirren Anfang 1990 ging der ganze industrielle Komplex an ein Unternehmen über; doch die Produktion startete nie. Irgendwann reichte das Geld nicht mehr aus, um Wachpersonal zu bezahlen - und nun entdeckte die örtliche Bevölkerung die Fabrik als Ersatzteil- und Rohstofflager, aus dem man sich hemmungslos bediente. Alles, aber auch alles wurde abgeschraubt, zersägt, demontiert und wenn irgend möglich zu Geld gemacht - nicht verwunderlich in einer Zeit, in der für die Bevölkerung Rumäniens fast alle Arbeitsverhältnisse zusammenbrachen und es kaum noch Verdienstmöglichkeiten gab.
 
Übrig geblieben ist ein Skelett aus Stahl und Beton, das noch von den einstigen Wirtschaftsträumen eines größenwahnsinnigen Diktators zeugt. Die Wohnblocks, in denen nie ein Mensch lebte, sind nun von anderen Bewohnern in Besitz genommen worden: Rauch- und Mehlschwalben, Turmfalken, Hausrotschwänzchen, Wiedehopf, Steinkauz und Steinschmätzer haben hier als Untermieter eine Bleibe gefunden, die ihnen zu behagen scheint. Hauptmieter aber sind die Esel; sie haben sich die Wohnungen untereinander aufgeteilt, denn wir können beobachten, daß jede Eselsfamilie eine ganz bestimmte Wohnung bezogen hat. Interessiert beobachten die Esel aus ihren Wohnzimmerfenstern die vorbeieilenden Menschen auf der Straße vor ihren Häusern.

Foto © Marie-Luise Kopp
 
Als wir Caraorman am nächsten Morgen wieder verlassen, sehen wir auf der höchsten Spitze des Stahl- und Betonskeletts einen Mann arbeiten - wieder wird ein Teil der alten Fabrik einer neuen Verwendung zugeführt. In Kürze dürfte von Ceaucescus Prestigeobjekt kaum noch etwas zu sehen sein. Nur den Tieren wünsche ich, daß sie ihre Wohnungen noch lange behalten dürfen.


Redaktion: Frank Becker