Irritation als Methode

Gegenläufig – Low Tide, High Tide - Claus Burys monumentale Landschaftsskulpturen betrachtet

von Johannes Vesper

© Hatje Cantz

Claus Bury – Gegenläufig –  Low Tide, High Tide



Und treffen wir uns nicht in dieser Welt...

Der Braunkohleabbau um Bitterfeld wurde seit 1990 stillgelegt und das Braunkohlerevier in eine Seen-Landschaft verwandelt. Die großen Braunkohlebagger beherrschen jetzt nicht mehr die ebene Landschaft. Seit 2006 gibt es aber auf dem Bitterfelder Berg, einer ehemaligen Hochhalde der Grube „Leopold“, den riesigen skulpturalen Bitterfelder Bogen. Dabei handelt es sich um ein Bauwerk von 28 m Höhe, 81 m Länge und 14 m Breite. Drei parallele Stahlträger bilden einen konvexen Bogen mit einer Spannweite von 70 m. Die den Gesamtbogen stützende Stahlkonstruktion mit 2 weiteren gegenläufigen Bögen, die 2 spitze Ovale bilden, läßt an die Ungetüme des Tagebaus, wie z.B. Schaufelbagger, oder auch an eine umgekehrte Eisenbahnbogenbrücke denken. Die  ganze monumentale Konstruktion  wiegt 525 Tonnen. Sie überragt den inzwischen auf der Abraumhalde wachsenden Laubwald und ist weithin sichtbar.

Weiter Blick

Von dort oben bietet sich andererseits auch ein weiter Blick über die Seenlandschaft des Goitzschesees. Tatsächlich sind die in dem Bogen aus der Ferne sichtbaren Ebenen begehbar. Es handelt sich um Fußgängerrampen mit einem sanften Gefälle und einer Gesamtlänge von 540 m. Diese begehbare riesige Stahlskulptur ist von Claus Bury. Für Fans dieses Bildhauer- Architekten muss jedenfalls der alte Spruch etwas unklarer Herkunft gelten: Und treffen wir uns nicht in dieser Welt, dann treffen wir uns in Bitterfeld. Oder man hat sich in Frankfurt getroffen. Die Entstehungsgeschichte dieses bisher größten Projektes von Claus Bury, der seit 1979 Großskulpturen entwirft und baut, wurde nämlich in der Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt/Main dokumentiert (23.02.-22.04.2007). Zur Ausstellung erschien der Katalog: Claus Bury – Gegenläufig –  Low Tide, High Tide -  bei Hatje Cantz. Gegenläufig sind nicht nur die Bögen des Bitterfelder Bogens. Gegenläufig, ungewohnt und neu sind die  Blicke und Aspekte des in dieser Ausstellung bzw. in diesem Band vorgestellten Werks von Claus Bury.

Bauernarchitektur und die Tempel von Paestum und Yucatan

Die Schwarz-Weiß Fotografien der monumentalen Strohballen auf den Feldern, mit Licht und Schatten,  aufgestapelt und aufgereiht – Bury nennt das „Bauernarchitektur“ - entsprechen seinen Fotografien der skulpturalen Maya-Bauwerke. Die Maya-Pyramiden  sind wahrhaft Großskulpturen im öffentlichen Raum. In Europa stehen Sinn und Zweck des umbauten Innenraums im Vordergrund architektonischer Überlegungen. Nur im alten Griechenland (noch) nicht. Die Tempel der Akropolis oder von Paestum  sind plastisch körperhafte Gebilde von unerhörtem Außeneindruck. Das Innere war weit weniger bedeutsam. Auch bei den Mayas wurde durch ihre Bauwerke der Raum außerhalb derselben strukturiert. Die Fotos und  die Zeichnungen  des Skizzen- und Tagebuchs seiner Reise nach Yucatan 2006 zeigen die Maya-Architektur als plastisch-räumliche Großskulpturen. Gegenläufigkeit entsteht, wenn Pyramiden oder Portale im Gegenlicht dunkel und von der Sonne beleuchtet hell erscheinen.

Boote

Claus Bury hat auch Großskulpturen gebaut, die an Schiffe oder Boote denken lassen. Hier hat vielleicht die transparente Konstruktion des Tatlin-Turms von 1919 als Ausdruck des historischen Konstruktivismus Pate gestanden. Bei Bury werden daraus aus Leimschichtholz gebaute Skulpturen mit einer Ausdehnung von bis zu 20 m. Auf der Kinziginsel in Gelnhausen ruht die Plastik „Wir sitzen alle in einem Boot“. In zwei nach oben offenen Halbbögen liegen dicht an dicht zahllose Baumstämme quer, deren Schnittflächen eine Ebene bilden: Von der Seite sieht man also im Halbbogen eine


Claus Bury "Schwebend" - Foto © Frank Becker
Fläche mit zahllosen Kreisen, die dem Querschnitt der Baumstämme entsprechen. Die Grenzlinie dieser Ebene ist nach oben glatt begrenzt und nur leicht geneigt. Der Halbbogen wird davon nicht ganz ausgefüllt. Diese Großskulptur hat eine Ausdehnung von 10x20x8m.
Bei der „Schiffsbrücke“ in Seligenstadt, ebenfalls eine Holzkonstruktion aus Halbbögen mit einer gebogenen Planke dazwischen, fällt die Assoziation eines Schiffsrumpfes leichter.  
Auf dem Gelände der ehemaligen Stadtgärtnerei in Bonn-Dransdorf steht das „Gewächshaus der Gedanken“. Transparenz und  Klarheit eines Treibhauses aus Stahl und Glas wurde hier in einer offenen funktionalen Holzkonstruktion variiert.

Irritation als Vorsatz und Methode

Claus Burys architektonische Großskulpturen irritieren. Das ist beabsichtigt. „Wenn wir nicht irritieren mit dem, was wir in den öffentlichen Raum stellen, machen wir keine Kunst“.(Claus Bury).

Claus Bury wurde 1946 in Gelnhausen geboren. Nach der Ausbildung zum Goldschmied an der Staatlichen Zeichenakademie Hanau (1962-1965) studierte er an der Kunst- und Werkschule Pforzheim bis 1969. Zahlreiche Studienaufenthalte im Ausland, Stipendien und Preise. Projektförderung durch die Hessische Kulturstiftung. 1997-2003 Professur an der Bergischen Universität Wuppertal. Seit 2003 Professor für Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste, Nürnberg.

Die neuesten Arbeiten Claus Burys sind hier teilweise erstmals publiziert (Reisebericht aus Yucatan). Der zur Ausstellung erschienene schöne Band  zeichnet sich durch exzellente, dokumentarische  Fotos und informative Textbeiträge renommierter Autoren in Deutsch und Englisch aus.      

Claus Bury – Gegenläufig –  Low Tide, High Tide
Hrsg. Ingeborg Flagge, Texte von Christoph Brockhaus, Martin Burckhardt, York Förster, Birgit Möckel, Manfred Sack, Gespräch mit dem Künstler von Christa Lichtenstein
Deutsch/Englisch
224 S. ca. 250 Abb., davon ca. 50 farbig.
30,7 x 24,4 cm gebunden
€ 39.80, CHF 63.-
ISBN-13978-3-7757-1887-5
Hatje Cantz Februar 2007

Ausstellung: Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt/Main 23.02.-22.04.2007

Weitere Informationen unter: www.hatjecantz.de

Redaktion: Frank Becker