Musikstunde

Eine Plauderei über Giuseppe Verdi, Nabucco und das italienische Nationalgefühl (1. Teil)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde

Über Giuseppe Verdi, Nabucco
und das italienische Nationalgefühl

(1. Teil)


Hallo und einen wunderschönen guten Morgen, liebe, Leserinnen und Leser, der Konrad Beikircher freut sich, daß er wieder für Sie schreiben darf, nachdem ihn die Musenblätter im August
sozusagen für vier Wochen in den Zwangsurlaub geschickt haben. Hat aber auch gut getan!
 
Vielleicht zum ersten Täßchen Morgenkaffee möchte Sie heute mit einer Oper bekannt machen, die mehr ist als eine Oper, sie ist eine nationale Institution und das muß einfach mal ein bißchen beleuchtet werden. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie die Sopran-Arien der z.B. derMatthäus-Passion von einem Counter-Tenor gesungen hören, ich halte es nicht aus. Ich bitte um Entschuldigung bei den Tenören und Kopfstimmen-Akrobaten und ich habe großen Respekt vor ihren Leistungen, aber wenn ich „Blute nur, du liebes Herz“ mit Kopfstimme höre ist es so, als wäre die Oberleitung zum Himmel zusammengebrochen, Funkloch und aus. Wenn aber eine Frau Schwarzkopf, eine Frau Grümmer oder... oder... singen, sind das für mich fast heilige Minuten, die mich vollständig ausfüllen.
 
Also: Oper und mehr noch: nationales Heiligtum, darüber wollte ich heute ein bißchen erzählen und dazu müssen wir nach Italien, denn es geht um eine italienische Oper, um Nabucodonosor, kurz Nabucco, von Giuseppe Verdi und Temistocle Solera, der das Libretto geschrieben hat. Vielleicht zunächst mal ein kleines Streiflicht auf den Pepperl, weil er ein wirklich feiner Mensch war:
Giuseppe Fortunino Francesco Verdi: geboren 9/10 Oktober 1813 in le Roncole bei Busseto, Provinz Parma, gestorben am 27. Januar 1901 in Mailand mit 87 Jahren. Weil es immer wieder schön ist, zu sehen, wie Zeitgenossen die Komponisten gesehen haben, darf ich wieder einmal einen meiner Lieblinge zu Worte kommen lassen, Julius Schubert, der im „Kleines musikalisches Konversations-Lexikon“ 1865 folgendes schreibt: „Verdi, Giuseppe, geboren 9. November 1814 in Roncole im Gebiet der Piacenza in der Lomberdei [so viele Fehler in einem Satz, dz, dz, dz!] Seine musikalische Karriere begann er als Pianist und wandte sich später der Komposition zu, 1839 kam von ihm in Mailand zuerst eine Oper („Oberto“) zu Aufführung, seit dieser Zeit komponierte er fast jährlich eine neue Oper; zu seinen besseren gehören: „Ernani“, „Nabucco“ und „Il Trovatore“. V. hat ein bedeutendes melodiöses Talent, jedoch wenig Originalität; er steht in jeder Beziehung weit hinter seinen Vorgängern Rossini, Bellini, Donizetti.“
Ich möchte noch aus dem Testament von Giuseppe Verdi den Paragraphen 14 zitieren: „Ich vermache das der Stiftung Altersheim für Musiker, die als juristische Person mit Dekret vom 31. Dezember 1899 bestätigt ist, abgesehen von dem Gebäude, das ich in Mailand, Piazzale Michelangelo, habe aufführen lassen:
1. 50.000 Lire 5%ige konsolidierte italienische Rente, derzeit von mir gesperrt mit der Bezeichnung N4.
2. 25.000 Lire italienische Rente auf Überbringer lautend.
3. Alle meine Komponistentantiemen in Italien sowohl wie im Ausland von allen meinen Opern einschließlich der Beträge, die mir aus derlei Sessionsverträgen zustehen. Von diesen Einkünften wird der Verwaltungsrat in den ersten 10 Jahren jährlich nur 5.000 Lire verwenden dürfen; dies, damit aus dem Rest ein Kapital gebildet werde, das dem Grundstock der Stiftung zuwachsen soll.“
Und das hat bis heute gehalten. Viva Verdi!
 
Der Librettist war ein ganz spezieller Typ:
Temistocle Solera: geboren in Ferrara am 25. Dezember 1815, gestorben mit 62 ½ Jahren am 21. April 1878 in Mailand. Solera bietet ein ähnlich abenteuerliches Leben wie Lorenzo Da Ponte wenn auch etwas kürzer. Zircusreiter, Frauenheld, Jurist, Berater der Königin Isabel von Spanien vor allen in Liebesdingen, Theaterunternehmer in Madrid, Barcelona, Gibraltar und Zaragoza, Librettist, Dichter, Geheimagent Napoleons des III, Polizeipräsident in Florenz, Feinschmecker und Rezepttüftler. Er schrieb für Verdi viereinhalb Opern: Nabucco, Il Lombardi, Giovanna d’Arco, Attila und den halben Oberto. Obwohl Verdi später auf eine Zusammenarbeit mit ihm verzichtete, sprach er nur gut über den Komponisten. Verdi revanchierte sich, in dem er ihn heimlich unterstützte.
So viel also zu den Autoren. Wie kam es nun zur Oper? Dazu lassen wir Verdi selbst zu Worte kommen, er erzählt in einer autobiographischen Skizze, die er seinem Freund und Verleger Giulio Ricordi schrieb, die abenteuerliche Entstehungsgeschichte dieser Oper:
. „... Ich wohnte damals [1840 in Mailand, da war Verdi 27 Jahre alt] in einer bescheidenen, kleinen Wohnung nahe der Porta di Cinese. Meine kleine Familie, d. h. meine junge Frau Margherita Barezzi und unseren beiden Kinder, lebte mit mir zusammen... Plötzlich begann das Unglück über mich hereinzubrechen: Anfang April wurde mein Junge krank. Die Ärzte konnten sein Leiden nicht erkennen, und so siechte das arme Geschöpf dahin, bis es in den Armen seiner verzweifelten Mutter starb. Das genügte aber noch nicht: wenige Tage später legte sich auch mein kleines Mädchen hin und nahm das gleiche grausame Ende. Es war immer noch nicht genug: in den ersten Juni Tagen wurde meine junge Frau von einer heftigen Gehirnentzündung befallen und am 19. Juni 1840 wurde noch ein dritter Sarg aus meinem Haus getragen. Ich war allein. - Innerhalb von zwei Monaten hatten mich drei liebe Menschen verlassen. Ich hatte keine Familie mehr...
 
Verdi erzählt weiter:
Durch das häusliche Unglück innerlich zerrissen, verbittert durch den Mißerfolg meiner Oper [Un giorno di regno – König für einen Tag] war ich überzeugt, daß ich in der Kunst niemals Trost finden würde und kam zu dem Entschluß, das Komponieren aufzugeben! – Ich schrieb also an den Ingenieur Basetti, der sich nach dem Mißerfolg von Un giorno die regno nicht mehr bei mir hatte blicken lassen, er möchte bei Merelli [dem Chef der Mailänder Scala] die Auflösung meines Vertrages erwirken.
Merelli ließ mich rufen und behandelte mich wie einen launischen Buben. Er ließ meine Entmutigung durch einen wenig glücklichen Erfolg einfach nicht gelten. Ich aber blieb eisern, so das Merelli mir schließlich den Vertrag mit den Worten zurück gab: „Hör zu, Verdi, ich kann dich nicht zwingen zu schreiben! Mein Vertrauen zu dir ist keineswegs geschwächt. Wer weiß, vielleicht zieht es dich eines Tages doch wieder zur Feder! Du brauchst mir nur zwei Monate vor Saisonbeginn zu verständigen, und ich verspreche dir, daß ich deine Oper aufführen lasse.“
Ich dankte ihm und ging; seine Worte konnten meinen Entschluß nicht umstoßen. Ich mietete eine Wohnung bei der Corsia de’ Servi. Verbittert und von Mißtrauen erfüllt, dachte ich nicht mehr an die Musik. Da traf ich eines Tages Mitten im Winter Merelli, als ich aus der Galeria der Christoforis kam, er war auf dem Wege zum Theater. Es schneite in dichten Flocken, Merelli nahm meinen Arm und lud mich ein, ihn in die Scala zu begleiten. Unterwegs erzählte er mir, in welcher Verlegenheit er sich wegen der neuen Oper befände, die aufgeführt werden sollte. Nicolai [der „Die lustigen Weiber von Windsor“ geschrieben hat] war damit beauftragt worden, aber er war mit dem Libretto nicht einverstanden. „Stell dir vor“, sagte Merelli zu mir, „ein Libretto von Solera, verblüffend!! – Wunderbar!! – Toll!! – Hoch dramatische Effekte, schöne Verse! Aber der Dickschädel Nicolai will nichts davon wissen und behauptet, das Libretto wäre unmöglich!“ Unterdessen waren wir am Theater angekommen... „Siehst du das hier ist Libretto von Solera! So etwas wunderbares abzulehnen! – Hier lies!“ „Und was soll ich damit anfangen? Nein, nein, ich will keine Libretti lesen!“ „Nun, schaden tut es dir sicher nicht! Lies es und bringe es mir wieder!“ Damit drückte er mir das Stück in die Hand. Es war ein Riesenmanuskript in großen Lettern, wie es damals üblich war. – Ich rollte es zusammen und machte mich auf den Heimweg.
 
Und weiter mit Verdi:
Zuhause angekommen, warf ich das Buch heftig auf dem Tisch und pflanzte mich davor auf. Das Heft hatte sich durch den Wurf geöffnet, und ohne zu wissen wie, betrachteten meine Augen die aufgeschlagene Seite und fielen auf den Vers:
„Flieg‘, Gedanke, auf goldenen Schwingen ...“
Ich überflog die folgenden Verse und war äußerst beeindruckt, zumal sie fast wie eine Paraphrase auf die Bibel klangen, an deren Lektüre ich mich immer erfreute... Dann zwang ich mich, das Heft zu schließen und ging ins Bett. – Seltsam – Nabucco ging mir nicht aus dem Kopf! Ich konnte nicht schlafen. So stand ich also wieder auf und las das Stück, aber nicht nur ein mal, sondern zwei-, dreimal, so daß ich am Morgen das ganze Libretto von Solera auswendig kannte.
Aber ich wollte immer noch nicht nachgeben, und so ging ich im Laufe des Tages ins Theater zu Merelli um, um ihn das Manuskript zurück zu geben. „Schön, nicht?“ überfiel er mich. „Wunderbar!“ „Na also, schreibt die Musik dazu!“ „Nicht im Traum, ich will nichts davon wissen!“ „Schreibt die Musik dazu! Schreibt die Musik dazu!“ Er nahm das Libretto, stopfte es mir in der Manteltasche, packte mich bei den Schultern und schob mich nicht nur zu Tür hinaus, sondern schloß sie vor meiner Nase mit dem Schlüssel ab. Was tun? Ich ging wieder nach Hause, mit Nabucco in der Tasche. Heute einen Vers, morgen einen anderen Vers; hier eine Note, da eine Note, mitunter sogar einen Satz – Allmählich wurde die Oper!... In den letzten Februartagen des Jahres 1842 begannen endlich die Proben, und in 12 Tagen, von der ersten Klavierprobe an gerechnet, waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Die Uraufführung fand am 9. März statt ... Die zusammengestoppelten Kostüme waren eine wahre Pracht. Alte Bühnenbilder, vom Maler Perroni wieder gebrauchsfähig gemacht, waren unglaublich wirkungsvoll. Besonders die erste Szene in Tempel war so eindrucksvoll, daß das Publikum gut zehn Minuten applaudierte! Mit dieser Oper begann erst meine wirkliche Karriere als Komponist. Wenn ich auch schwer hatte kämpfen müssen, so muß ich doch zugeben, daß Nabucco unter einem günstigen Stern geboren wurde, der alles Übel zum Guten wandte.“
No, da hat unser Verdi aber toll die Kurve gekriegt, oder?!
 
Mehr zur Oper und ihrer Wirkung (nebst ein paar Streiflichtern zum Thema Hymne) erzähle ich Ihnen nächste Woche.
 
Seien Sie mir gewogen und schalten Sie nächsten Dienstag wieder die Musenblätter ein!
 
Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker