»Alles, was süß ist, lockt mich.« - "Vierzig Tage im Leben des Heinrich von Kleist".

Jörg Aufenanger stellt morgen in Berlin sein neues Buch vor

Red.
»Alles, was süß ist, lockt mich.«

Jörg Aufenanger
"Vierzig Tage im Leben des Heinrich von Kleist".

Ein schmales Buch dieses Mal, ein biographischer Essay, der von den wenigen Wochen erzählt, die Kleist in Weimar und im nahen Oßmanstedt bei Wieland und seiner Familie verbracht hat. Ein Wendepunkt in seinem Leben, adelte ihn doch der damals berühmteste deutsche Dichter als Dichter, obwohl Kleist erst ein einziges Schauspiel "Die Familie Schroffenstein" geschrieben hatte. Zudem verliebte sich Kleist in die dreizehnjährige Tochter Wielands und diese sich in ihn. Eine gefährliche Liebe, die ihn und sie in Gefahr brachte?

Vierzig Tage, eine kurze Rast in Kleists Leben voller Hast.
Vierzig Tage, in denen sich wie in einem Brennglas alles bündelt, was Kleist als Dichter und Mensch ausmacht.



Dienstag 21. September 20 Uhr
Brechthaus - Literaturforum - Chausseestrasse 125
Berlin- Mitte - (Tel. 030-28 22 003)
Moderation des Abends: Jens Bisky (Süddeutsche Zeitung)
 
Jörg Aufenanger: "Vierzig Tage im Leben des Heinrich von Kleist"
© 2010 Transit Verlag
128 Seiten, zahlreiche Abbildungen und Faksimiles gebunden
€ 14,80 (D) / CHF 27,50 - ISBN 978-3-88747-249-8

Jörg Aufenanger, 1945 in Wuppertal geboren, arbeitete als Theater- und Fernsehregisseur in Paris,

Jörg Aufenanger - Foto © Gudrun Olthoff
Rom und in Deutschland. Er lebt jetzt als Autor und Übersetzer in Berlin. Erfolgreiche Veröffentlichungen u.a.: »Schiller – eine Biographie«, »Heinrich Heine in Paris«, »Das Lachen der Verzweiflung – Christian Grabbe« und »Hier war Goethe nicht«. Jörg Aufenanger rekonstruiert die dramatischen vierzig Tage anhand von Briefen, Erinnerungen, Tagebüchern und Berichten und zeichnet so ein genaues und vor allem sehr persönliches Porträt des Heinrich von Kleist.
 
Leseprobe
»Ich habe die Feiertage in Oßmannstedt zugebracht, und mich nun (trotz einer sehr hübschen Tochter Wielands) entschlossen ganz hinauszuziehen«, schreibt Heinrich von Kleist an seine Schwester Ulrike in den ersten Januartagen 1803 und fügt hinzu, er sei ungewöhnlich »hoffnungsfroh«. Er warte nur noch auf Geld, das sie ihm schicken möge, – um die Gasthofrechnung bezahlen zu können? – »um nun zuletzt auf den Platz hinzugehen, an welchem sich mein Schicksal endlich, unausbleiblich und wahrscheinlich glücklich entscheiden wird.«
Bei seinen sporadischen vorangegangenen Besuchen auf dem Gut des Dichters Christoph Martin Wieland hat er die »sehr hübsche« Tochter Luise ins Auge gefasst, die dreizehn Jahre und ein paar Monate jung war und für die noch kein Bräutigam ausgeguckt war. Machte er sich da Hoffnungen, möglicherweise auch von Ludwig Wieland, dem Bruder Luises, angefeuert, der den Freund gern in die Familie eingebunden hätte? Doch was kann das »trotz« im Brief an Ulrike bedeuten?
Zugleich hat Kleist den alten Mann Wieland kennen und schätzen gelernt und sein Leben, das dieser einmal so beschreibt: »Befinde mich in Osmantino beschäftigt, meine Bäume ihrer Last zu entladen und Kartoffeln und Runkeln für Menschen und Vieh einsammeln zu lassen, nebenher aber, um meine übersetzte Helena vollends zu Stande zu bringen.«
Von solch einem Landleben als Bauer und Dichter hat Kleist vor kurzem in der Schweiz noch geträumt, nun erblickt er die Realität und wird das Stöhnen Wielands über die Aufgaben eines Landwirts vernommen haben, der nur »nebenbei« noch zur Dichtung kommt, wie gerade zur Übersetzung griechischer Dramen, wozu er einige Wochen lang zuvor seinen Hof verlassen und auf dem Ruhesitz der Fürstin Anna Amalia im nahen Tieffurt Zuflucht gefunden hatte.
Nun also war man mitten im Winter, die Feldarbeit ruhte, Schnee und Eis bedeckten das Land. Sie waren im Landleben gefangen: Vater Wieland, Tochter Luise und zumeist auch Sohn Ludwig, zwei weitere Schwestern und zwischen allen Kleist. Und am Rande noch Samuel Christoph Abraham Lütkemüller als Hausgenosse, der Privatsekretär Wielands, der sich auch Hoffnungen machte auf eine Wielandtochter. Der war Theologe, aber zugleich Autor durchaus gewitzter Romane wie Aimar und Lucine und noch Redakteur der von Wieland herausgegebenem Zeitschrift Merkur.
In einem Brief an den Arzt Christian Wedekind wird er schreiben: »Herr von Kleist behielt mich in den ersten zwei Monaten unserer Bekanntschaft in einer Entfernung, die mir penibel war, und vermutlich alles nähere Verhältnis zwischen uns abgeschnitten hätte, wenn ich nicht durch meinen Sohn erfahren hätte, dass Kleist sich in seinem Quartier zu Weimar so schlecht befinde, dass er eine Einladung bei mir in Oßmannstedt zu wohnen mit Dank annehmen würde. Sogleich erging diese Einladung, er nahm sie an, bezog an einem der ersten Tage des Januar 1803 ein Zimmer in meinem Hause, und war von dieser Zeit an mein Commensal (Tischgesell) auf eben dem Fuß, als ob er zu meiner Familie gehörte.«

Redaktion: Frank Becker