Mertes und der Migrationshintergrund

von Horst Wolf Müller
Mertes und der Migrationshintergrund
 

Mertes: Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin kein geborener Rheinländer.
Die wirklichen Kenner werden das schon bemerkt haben. Es ist ja keine Schande, es ist allenfalls ein Manko, et is ein Gefühl, wie wenn de dinge Paß verlore hättst, du küss nit durch die Sperren, du fühlst dich wie nach einem Ganzkörper-Screening.
Aber genau genumme biste auch als halber Rheinländer ein voller Jeck, weil das rheinische Blut in der Schlacht der Gene so gut wie immer dominant ausfällt.
Aber lassen wir die Biologie. Mein Vater, ein leidenschaftlicher Steuerberater, der praktisch jede Steuerreform voraussah – schon fast unheimlich war das seinen Klienten – war Ostpreuße, nannte sich aber Pruzze.
Er blieb nach dem Krieg, wo er als Panzerfahrer eingesetzt war, am Niederrhein hängen und traf dort ganz unerwartet auf meine Mutter, fünftes Kind einer Aachener Dachdeckerfamilie. Von sechs Kindern wurden drei Spengler, der Rest Dachdecker, zwei mit Diplom.
Mein Vater, zu dem Zeitpunkt ohne friedliche bzw. friedensmäßige oder noch besser Frieden bringende Berufsausbildung, ließ sich von der kupfer- und schiefer verarbeitenden Familie am Rande des Kohlereviers derart blenden, daß er in sie einheiratete und durch wertvolle steuerliche Hilfestellungen zu einer florierenden Firma werden ließ.
Ich selbst hatte nach Ableistung der mittleren Reife die Wahl, ob ich anderen beim Kampf mit dem Fiskus helfen oder zur Verschönerung der rheinischen und bergischen Stadtbilder beitragen wollte. Schon damals siegte in mir der Schönheitssinn.
Besonders Kirchendächer wurden meine Spezialität.
Ich kröne jetzt mein Lebenswerk mit der Erneuerung des Daches von Sankt Pantaleon, jenes Heiligen, der „bei Gott mächtig“ genannt wird, der Doyen unter den vierzehn heiligen Fürsprechern.
Eine Konversion meiner selbst fand nicht statt, ich und meine Frau Anna blieben bis auf den heutigen Tag altkatholisch. Wenn das der Kardinal wüßte.
 



© Horst Wolf Müller - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010