Die verlorene Ehre des Desdemona Blum

Top und Flop in der Wuppertaler Inszenierung von Verdis Musikdrama „Otello“

von Frank Becker

Die verlorene Ehre der Desdemona Blum

Top und Flop in der Wuppertaler Inszenierung von Verdis Musikdrama „Otello“

Musikalische Leitung: Toshiyuki Kamioka – Inszenierung: Johannes Weigand – Bühnenbild: Moritz Nitsche – Kostüme: – Judith Fischer – Dramaturgie: Karin Bohnert – Einstudierung der Chöre: Jaume Miranda – Licht: Fredy Deisenroth – Fotos: Michael Hörnschemeyer

Otello: Kor Jan Dusseljee – Jago: Ks Károly Szylágyi – Desdemona: Capucine Chiaudani – Emilia: Joslyn Rechter – Cassio: Cornel Frey – Rodrigo: Stephan Boving – Judovico: Christoph Stegemann – Montano: Reinhold Schreyer-Morlock – Ein Herold: Oliver Picker

Sinfonieorchester Wuppertal - Chor, Extrachor und Kinderchor der Wuppertaler Bühnen - Statisterie


Top 1 - Das Sinfonieorchester Wuppertal

Einmal mehr stellte das Sinfonieorchester Wuppertal unter seinem GMD Toshiyuki Kamioka unter Beweis, daß es zu einem der vornehmsten deutschen Klangkörper gehört. Die von Kamioka gepflegte Musikkultur, sein Engagement und seine spürbare Begeisterung beseelen dieses

Toshiyuki Kamioka - Foto © Sinfonieorchester Wuppertal
vortreffliche Orchester bis in die Haarspitzen. So wundert es auch nicht, daß die Musik Verdis von der Ouvertüre bis zum Schluß auf allerhöchstem Niveau gegeben und mit glühendem Leben erfüllt wurde. Ein federleichter Traum z.B. der Ausklang des ersten Aktes, der die Streichertutti zu einen einzigen zarten Bogenstrich verschmelzen ließ und aufwühlend die dramatischen Spitzen der Eifersuchts- Szene des 3. Aktes. Das sind nur zwei Beispiele des durchweg begeisternden Spiels, das eine Klanglandschaft aufbaute, auf der die Stimmen der Sänger sicheren Halt fanden.

Flop 1 - Die Bühne

Die schräg-konkave Ebene, die Moritz Nitsche auf die Bühne gestellt hat und die auch mit viel gutem Willen nicht als interessant oder zumindest multifunktional bezeichnet werden kann, war schlichtweg häßlich. Zudem unpraktisch für die Darsteller, die schweren Stand darauf, darunter und daneben hatten. Die düstere Farbwahl in anthrazit mit weißen Farbtupfern und einem roten Tuch (!) als ebensolchem Faden entspricht vielleicht der düsteren Stimmung des Mohren und seines intriganten Ratgebers, keinesfalls aber der Sonneninsel Zypern, auf der die Handlung angelegt ist.

Chiaudani - Dusseljee (oben) - Rechter - Szylágyi (unten)

Dazu zählen wir flugs auch Flop 2 - die Kostüme, die genauso langweilig waren wie das Bühnenbild, das nur einmal an Farbe und Witz gewann - dazu aber später.

Top 2 - Die Sänger

Stimmgewaltig von Beginn an Ks Károly Szilágyi als Jago, dessen kraftvoller Bariton die gesamten gut 2¾ Stunden hindurch den nicht geringen Anforderungen mehr als genügte. Kor Jan Dusseljee als Otello hingegen brauchte eine gewisse Anlaufzeit, bis sein nicht weniger energischer Tenor die Höhe erreichte, die ihm später ebensolchen Jubel einbrachte wie ihn Szilágy ernten konnte. Cornel Freys Tenor als Cassio wirkte dagegen dünn. Ihn hat man schon weit besser gehört. Nur kurz, doch beeindruckend Christoph Stegemanns Auftritt als Ludovico. Sein köstlicher Baß ist eine Ohrenweide. Die Chor-Einstudierungen von Jaume Miranda waren wie so oft in der Wuppertaler Oper ein rechtes Vergnügen. Auf diesen Chor kann man anscheinend immer setzen. Nur die Kinder hätte man nicht so exzessiv einsetzen müssen - auch wenn sie so herzig sind und Eltern und Großeltern als Publikum mitbringen.
Kommen wir aber zum Herzstück der Aufführung, der phantastischen Capucine Chiaudani (Sopran). Sie bewegte als Desdemona merkbar die Herzen des Publikums im ausverkauften Haus. Glanzvoll ihre Stimme, bestechend ihr Vortrag - und eine Offenbarung ihr "Ave Maria, piena di grazia" im 4.

Dusseljee - Chiaudani
Akt. Da mochte man ihr zu Füßen sinken. Diese Arie allein wäre es wert, die Oper gleich noch einmal anzuhören. Ich betone: anzuhören! Denn ansehen möchte ich mir das Spektakel keinesfalls noch einmal (nicht nur wegen der Bühne und der Kostüme). Das bringt uns zu...

Flop 3 - der Darstellung

Selten sah man so wenig schauspielerisches Talent auf einer Bühne wie hier. Hölzern und statisch agierten alle bis auf Stegemann, von der Regie scheinbar nicht geführt.  Da hätte man sich auch gut eine szenische Aufführung vorstellen können. Hinzu kamen ungeschickte Einfälle wie ein seinen Degen polierender Feldherr - ja hat denn der keinen Burschen? - oder der selbe, der wie ein Dieb in der Nacht in Assassinen-Manier ins eigene Schlafzimmer einsteigt, anstatt die Tür zu benutzen. Albern. Alles wirkte überzogen: Jago im Intrigenspiel kam wie ein Stummfilmschurke daher. Der eifersüchtige Otello, ein rasender Kotzbrocken, dem man nicht abnehmen konnte, daß er je Liebe zu Desdemona empfunden haben könnte, ja überhaupt lieben könne, ist schauderhaft angelegt. Desdemona stolpert gleichermaßen ungeschickt wie komisch über die Bühne und Cassio scheint überall deplaziert. Wie gesagt, man möchte die Augen schließen und nur hinhören.

Top 3 - Das Licht

Spät, aber nicht zu spät kommt das Licht im letzten Akt zu seinem dramaturgischen Recht. Fredy Deisenroth lieferte da eine Meisterleistung der Stimmungswechsel ab, ohne die der Akt im grauen Anthrazit-Einerlei untergegangen wäre.

Flop 4 - Die Oper selbst

Ich bin mir im Klaren darüber, daß sich der eine oder andere jetzt empören wird, wenn ich die Oper ein wenig zerlege. Warum nur nimmt das Opernpublikum einen solchen Hirnriß unwidersprochen hin? Zumindest alle Psychologen, Ärzte und Gerichtsmediziner müßten während der Vorstellung unter Qualen den Saal verlassen, zumindest aber anschließend wütende Pamphlete gegen Verdi und seinen Librettisten Arrigo Boito, von mir aus auch gegen William Shakespeare verfassen. Warum? Weil es schlicht lachhaft ist, daß eine bereits Erwürgte sich auf dem Totenbett liegend noch einmal zu Wort, will sagen zur Arie meldet und mit zerquetschtem Kehlkopf und mächtigen inneren Hämatomen in strahlendem Sopran es auch noch singt: "Du hast mich ermordet". Lächerlich. Nicht weniger hirnrissig ist eine Figur wie Otello: ein offenbar intelligenter Mann und umsichtiger Heerführer, der es trotz schwarzer Hautfarbe (die übrigens bei dieser Aufführung nicht sehr haltbar war) zu hoher

Chiaudani - Rechter
Position gebracht hat, läßt sich durch plumpe Lügen von der Liebe zu seiner Frau abbringen. Er führt sich auf wie ein billiger Zuhälter, der nichts lieber glaubt, als daß seine angeblich geliebte Gattin ein Flittchen ist. Nach dem Motto: alles Schlampen außer Mutti. Desdemona läßt sich darob von ihm ohne Widerspruch drangsalieren und schließlich bereitwilligst erwürgen. Und auch Emilia hält die Klappe, bis es zu spät ist. Ja wo sind denn da die Frauenverbände? So ein Schmonzes gehört doch heuer auf keine Bühne mehr! Wie hat Hanns Dieter Hüsch so schön gesagt: "Könnt ich mich kriminal drüber ärgern!"

Top 4 - Die Musik

Aber die Musik ist ein natürlich Traum! Da folgt ein Höhepunkt dem anderen, beginnend mit Otellos "Esultate" und Jagos "Inaffia l´ugola" und sein "Credo in un dio crudel". Desdemonas "Gran dio!" und das oben bereits erwähnte und immer noch eine weitere Erwähnung werte
"Ave Maria, piena di grazia" gehören ebenfalls zu den Juwelen dieser zum Schönsten ihres Genres gehörenden Oper. Verdi sei Dank!

Weitere Informationen, so über weitere Aufführungstermine unter : www.wuppertaler-buehnen.de
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