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Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko
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Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko


Ich war mit einem Freund auf dem Weg nach Ungarn, als wir auf der Autobahn kurz vor Amstetten eine Panne hatten. Kaum fällt der Ortsname Amstetten, denke ich gleich an den Schriftsteller Julian Schutting, der dort als Jutta Schutting geboren wurde. Nach der Geschlechtsumwandlung ließ Schutting über seinen Salzburger Verlag erklären, er suche mit diesem Schritt "Übereinstimmung mit seinem lebenslangen Selbstgefühl". Das hat mir sehr imponiert. Von der Literaturkritik wird Julian Schutting „als begnadeter Stilist gefeiert, dessen Meisterschaft sich vor allem in der Beschreibung kleiner Dinge und der Ästhetik des Alltäglichen zeige“. Ich lese ihn immer noch.
            Das alles spukte in meinem Kopf herum, als wir uns in das nächste Dorf abschleppen lassen mußten, wo es eine kleine Autowerkstatt gab. Die Reparatur würde dauern, man müsse die Ersatzteile holen, hatte man uns gesagt. Das Dorf hieß Öd, was ich sehr witzig fand für einen Ort. Er liegt in einer von Wiese und Wald umgebenen, durchaus nicht öden Gegend. Zu allem Übel regnete es auch noch, und graue Wolkenränder legten sich sanft über die Dächer des Dorfes. Es war uns klar, daß wir irgendwo die Nacht verbringen mußten. Im Gästezimmer des einzigen Gasthauses hatte mein Freund sich zunächst verärgert neben mich auf das Bett gesetzt und seine Augen wanderten im tristen Raum herum und waren dann an meinem Blusenausschnitt hängen geblieben. Von der Regenmusik begleitet, hatte sich dann für uns das Wörtchen öd mit Leben gefüllt. Das verhinderten auch nicht die bilderlosen, wie tot wirkenden vier Wände des Gästezimmers. Die Wände des Hauses hatten draußen im Regen gedampft und ihr eigenes Gesicht entwickelt. Alles hatte in Öd sein eigenes Gesicht entwickelt. In der Schankstube des Gasthauses, in der wir später saßen, hatten die Einheimischen mit ihren spröden Lippen zuerst schweigsam, dann aber immer redseliger ihre Gläser geleert. Wir hatten uns von den wenigen Gästen unbeobachtet gefühlt und tranken eine Flasche ausgezeichneten Wein. Den Wirt hatten nur die leeren Gläser interessiert und das Kind auf der Eckbank war vom Stimmengewirr schon nach kurzer Zeit eingeschlafen. Es hatte ununterbrochen geregnet und die Äste der Bäume und Büsche hingen schwer unter der Bürde des Wassers, das mit großer Zärtlichkeit herabfiel. Niemals mehr danach habe ich Regen so empfunden. Jeder Tropfen hatte ein Gesicht angenommen und war seiner Bestimmung zugeflossen. Unter den mit Gänsedaunen gefüllten, sogenannten Tuchenten, in diesem nicht nur weinseligen Begehren, hatten auch wir unsere eigenen Gesichter entwickelt.
            Am nächsten Tag schien das ganze Dorf wie frisch gewaschen. Nach einem deftigen Frühstück verabschiedeten wir uns am späten Vormittag. Die Einladung bald wiederzukommen hatten wir geflissentlich überhört - obwohl wir uns beide beim Weiterfahren noch mehrmals nach diesem verschwindenden Dorf Öd umgedreht hatten.



© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010