Die Paranoia des Arbeiter- und Bauernstaates

Michael Magercord - "Endstation Grenze - Bahnhof Friedrichstraße Berlin 1986"

von Frank Becker
Endstation

Der Bahnhof Friedrichstraße in Berlin
als Nahtstelle zwischen kommunistischer
Diktatur und dem freien Westen


Die zu großen Teilen verwackelten, unscharfen oder angeschnittenen Bilder in diesem Band von Michael Magercord wirken auf den ersten Blick unspektakulär. 1986 aber, als die deutsch-deutsche Grenze noch scheinbar unüberwindlich die gemeinsame Hauptstadt Berlin (das Provisorium Bonn war ja auch ganz offiziell eines) mit Stacheldraht, Minengürtel und tiefem Mißtrauen durchtrennte, waren diese heimlich aufgenommenen, von hoher Strafe seitens der "Staatsorgane" Ost bedrohten Fotografien äußerst rar und ausgesprochen aufregend.

Nahtstelle zwischen West und Ost war das verschachtelte Nadelöhr Bahnhof Friedrichstraße mit seinem Grenzübergang für Bahnreisende, an einer Grenze wohlgemerkt, die staatsrechtlich gar keine war. Doch von schwer bewaffneten Grenzpolizisten mit Argusaugen überwacht, wurde dieser Zonengrenz-Kontrollpunkt zwischen dem sowjetischen und den drei Westsektoren auf Ostberliner Gebiet zum Symbol für die Paranoia der DDR. Immer wieder wurden die fensterlosen unterirdischen Gänge mit Bretterwänden umgebaut, um Verwirrung zu schaffen und Reisende mit peinlichster Akribie überprüft (als ob je ein Westler auch nur im Traum die Absicht gehabt hätte, heimlich in den Osten einzureisen). Der Bahnhof auf dem Boden der "Hauptstadt der DDR", auf dem sich auf gegenüberliegenden Bahnsteigen internationale Fernreisende, durch- oder einreisende Westberliner und in den eigenen Staat eingesperrte Ost-Bürger auf Sichtweite gegenüberstanden, schwärte öffentlich sichtbar für Jahrzehnte wie eine eitrige Wunde im deutschen Selbstverständnis.
Wer jemals mit der U-Bahn von West nach Ost gefahren ist, wird sich an die ohne Halt durchfahrenen, düsteren, verdreckten Geisterbahnhöfe erinnern, auf denen triste Wachtposten die Republik der
Arbeiter und Bauern an vorderster Front "verteidigten". Und wer oberirdisch in den gläsernen Bögen der Bahnhofskuppel mit Maschinenpistolen bewaffnete Posten in Breeches und martialischer Haltung sah, wußte: hier regiert die Angst vor sich selbst.

Natürlich war überall das Fotografieren verboten. Michael Magercord hat diese Reisen durch ein Niemandsland, seine Geisterbahnhöfe, Züge und Reisende, deprimierende Gänge und Wege, Wachtposten und Warteschlangen dennoch heimlich und mit klopfendem Herzen und mit versteckter Kamera fotografiert und in seinem Buch kommentiert. Er hat damit ein verdienstvolles Dokument geschaffen, das mit dem Etikett "Bitte für ein besseres Verständnis der DDR aufbewahren" versehen werden und sowohl der nachwachsenden Jugend wie auch "Ostalgikern" gelegentlich zur Lektüre in die Hand gegeben werden sollte. Eine Empfehlung der Musenblätter!


Michael Magercord - "Endstation Grenze - Bahnhof Friedrichstraße Berlin 1986" - Geheime Fotos eines Grenzgängers

© 2009 Sutton Verlag, 95 Seiten, gebunden, 25 x 23 cm Querformat, ca. 120 s/w-Fotografien
19,90 €
Weitere Informationen unter:
www.suttonverlag.de