Vom besseren Theater

Gerhard Stadelmaier - "Parkett, Reihe 6, Mitte"

von Stefan Schmöe
Vom besseren Theater
 
Gemeinhin ist es eine (tunlichst zu unterlassende) Unart, die Kritiken eines Kritiker-Kollegen zu kritisieren, an dieser Stelle aber sei eine Ausnahme erlaubt, weil sie eines der schönsten Bücher über das Theater schlechthin betrifft. Parkett, Reihe 6, Mitte, das ist der bevorzugte Platz, den Gerhard Stadelmaier im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in den führenden Schauspielhäusern des deutschsprachigen Raums – gelegentlich auch in Paris – einnimmt, und so hat er auch diesen Band mit ausgewählten Texten und Rezensionen aus den vergangenen rund 25 Jahren benannt.
 
Sowohl das Insistieren auf gerade diesem Platz wie auch die Auswahl der regelmäßig besuchten Bühnen, nämlich ausnahmslos die führenden, machen deutlich, dass es sich hier um einen, im Speach der Rating-Agenturen, AAA-Kritiker mit gesundem Selbstbewußtsein handelt. So haben Stadelmaiers Texte auch immer den mal weniger, oft stärker ausgeprägten Anspruch, uns das Theater als solches zu erklären – mit dem Überschwang eines Theaterbesessenen, dem man aber Ärger, Leiden und gelegentlich Wut gerne abnimmt, wenn ein Regisseur dem Theater Gewalt antut. Stadelmeier ist durch und durch konservativ, wenn er auf die Kraft der Stücke vertraut, egal, wie alt sie sind, und mit ätzender Kritik anprangert, wenn diese Stücke allein dem Zeitgeist als „Material“ dienen sollen. Man muß da nicht gleicher Meinung sein, aber die Lektüre dieser Texte ist immer inspirierend, sodaß man danach das Gefühl hat, das Theater ab sofort mit anderen Augen zu sehen. Und an ein besseres Theater glaubt.
 
Natürlich gilt das gerne bonmothaft zitierte Tageszeitungsverdikt „Du darfst über alles schreiben, nur nicht über 60 Zeilen“ nicht für einen wie Stadelmaier, und so nimmt der sich viel Zeit und Raum für literarische Kabinettstückchen, die einem das Gefühl vermitteln, dabeigewesen zu sein. Die rein beschreibenden Elemente sind eher knapp gehalten, statt dessen fängt Stadelmaier mit seiner metaphernreichen Sprache die Atmosphäre des Abends wie des jeweiligen Stückes ein. Die Texte sind nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert (so bekommt der von Stadelmaier besonders geliebte Tschechow ein eigenen Kapitel), was hier und da Querbezüge erlaubt, an anderer Stelle nicht weiter wichtig ist. Man kann das Buch ohnehin von vorn nach hinten (oder umgekehrt) lesen, von hier nach da (oder von da nach hier) springen, nach Stücken suchen oder nach Schauspielern (zu beiden gibt es ein Register), oder sich beim ziellosen Blättern einfach festlesen. Der Band, den Stadelmeier im Untertitel „Meine Theatergeschichte“ nennt, gehört unbedingt auf den Weihnachtswunschzettel eines jeden Theaterfreunds. 

Beispielbild

Gerhard Stadelmaier
Parkett, Reihe 6, Mitte
 
Meine Theatergeschichte

448 Seiten, fester Einband mit Lesebändchen
© Zsolnay, 2010
ISBN 978-3-552-05517-9
25.90 € (D) / 38.90 sFR (CH) / 26.70 € (A)
 
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