Dessau
Die Fledermaus
Mal wieder Dessau Baden bei Wien, 1870
Schon in der Ouvertüre sieht man die Abgründe eines Kurortes. Anstatt in Badewannen Entspannung für steife Glieder zu suchen, treibt die Kurgesellschaft ein fröhliches „Wanne, wechsle dich“ Spiel. Badepartner werden so häufig getauscht, daß es schwer fällt, die Übersicht zu bewahren, wer gerade mit wem „badet“. Und mitten drin ein düpierter Anwalt, eine Mischung aus Metternich und Coppolas Dracula. Ulf Paulsen gibt diesem Rechtsanwalt Falke hinterlistige und grausame Züge. Sein Opfer ist der herrlich selbstherrliche Eisenstein (Wiard
Ein genaues Sittenbild
Hinrich Horstkotte bricht mit seiner Fledermaus mit neuen „Traditionen“. Er inszeniert ein genaues Sittenbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts, ohne peinliche Details offenzulegen. Der Ball bei Orlofsky ist ein wahrer Ball, elegante Menschen ergehen sich in sinnlichen Genüssen. Genau wie das Gefängnis ein trister Provinzknast ist.
Angelina Ruzzafante wird vom Hausmütterchen Rosalinde zur gefährlichen, tief dekolletierten Pusztadomina, deren „Klänge der Heimat“ wohl als absoluter Höhepunkt des zweiten Aktes gelten muß. Ansonsten dominieren die dunklen Stimmen, Ulf Paulsen als Dr. Falke und Wiard Witholts Eisenstein, zwei Marksteine in der Baritonriege, Kostadin Arguirov als Falke in gewohnt überzeugenden Baßtiefen. David Ameln lebt diesen Kind-Orlofsky, gibt ihm jugendliche tenorale Klänge. Die Rollen von Andrew Sritheran und Filippo Deledda als Dr. Blind sind leider zu kurz für das sängerische und komödiantische Talent der beiden. Den Chor unter Helmut Sonne zu loben hieße Eulen nach Athen tragen, ebenso das Lob der Anhaltischen Philharmonie, die unter Wolfgang Kluge wienerisch-sinnliche Champagnerlaune auf höchstem Niveau verbreitete. Eine „brave“, aber lustige und (ent)spannende Fledermaus endete auch in einer Sonntagnachmittagsvorstellung in begeistertem Applaus. Dessau lohnt sich nicht nur wegen der Oper.
Besuchte Vorstellung 19.12.2010
Weitere Informationen unter: www.anhaltisches-theater.de Fotos von Claudia Heysel
Redaktion: Frank Becker
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