... bis Z
Die Kolumne am Mittwoch
von Friederike Zelesko
Als bei der Anprobe des Kleides sich der weiße Stoff über meine hochgehobenen Arme, über meinen mageren Körper schob, spürte ich die warme Berührung der Mutter, die mir vorsichtig den Gürtel um eine Taille legte, die noch keine war. Sie hatte keine Mühe gescheut, in der Nachkriegszeit den kostbaren Stoff zu besorgen. „Dreh dich einmal“, sagte sie und prüfte anerkennend den Saum, unter dem die neuen, weißen Lackschuhe kaum zu sehen waren.
Ich stand vor dem Spiegel und als ich mich drehte, begegnete ich das erste Mal in meinem Leben einer Veränderung. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß die Veränderung, die ich draußen im Garten beobachtete, die das warme Wetter, die Frühlingssonne, der laue Wind, zustande brachten, auch mich mit einschloß. Ich sah aus wie das weiße Veilchen, das im Garten aufgeblüht war. Es war wie ein Wunder, das ich nicht verstand, mit dem aber auch die Scheu vor einem gewaltigen Anblick in mein Innerstes zog.
Als ich dann am weißen Sonntag in der Kirche ganz vorne unter den Erstkommunionkindern kniete, und der Kaplan im feierlichen Messgewand den Leib des Herrn auf meine Zunge legte, wagte ich nicht zu schauen. Ich schloß meine Augen. Der gewaltige Anblick hätte ja wie ein Blitz in mich fahren können - meine Schuld, meine Schuld, meine übergroße Schuld! Daumen und Zeigefinger berührten einander. Sie bewegten sich dreimal auf meine Brust zu. Meine Brust wurde eng, so wie vorher im Beichtstuhl, in dem ich mit erstickter Stimme durch ein hölzernes Gitter der unsichtbaren, allerlösenden Kraft Sünden zuflüsterte, die ich nicht begangen hatte. „Erlöse mich von dem Bösen. Alle Taten, oh Herr, die ich auf meinen weiteren Wegen begehen werde, stehen unter Deinem Schutz und Schirm“, flüsterte ich.
Im Regen, unter dem Schirm der Mutter, die sich um meine kunstvoll in Locken gelegten Haare sorgte, flüchteten wir ins Pfarrhaus. Dort stand ein feierlich gedeckter Tisch mit Kuchen. In einer winzigen Vase, die vor meinem Teller stand, schaute ich überrascht auf weiße Veilchen.
Meine nächste böse Tat war unvermeidlich. Seit dem frühen Morgen waren wir nüchtern geblieben, umso hungriger bissen wir in den Kuchen. Ich nahm einen festen Schluck Kakao aus der dicken Steinguttasse die mir gereicht wurde. Bevor ich den Satz: „Sei vorsichtig, er ist noch heiß“ zu Ende gehört hatte, spuckte ich den Kakao schon in hohem Bogen über mein Kleid. Ich hatte mir den Mund so schlimm verbrannt, daß ich laut weinend, mit häßlichen Kakaoflecken auf dem weißen Kleid, zu meiner Mutter lief. Anstatt mich zu trösten, schimpfte sie mich aus, denn ich hatte sie um eine gemütliche Kaffeestunde in der Runde der Mütter gebracht. Danach ließ ich noch lange meinen Frühstückskakao fast kalt werden, was wiederum stets getadelt wurde.
© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2011
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